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Dussler, Luitpold; Michelangelo [Ill.]
Die Zeichnungen des Michelangelo: kritischer Katalog — Berlin, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.42438#0041
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DIE SAMMLUNGEN

Über den bedeutsamen Zeichnungsbesitz, den Michel-
angelos Nachkommen bis zum 19. Jahrhundert ver-
einigt hielten, erfahren wir beim Ableben des Meisters
fast nichts. Das sorgfältig aufgestellte Inventar bei
des Künstlers Tod1 nennt mehrere Kartons, von
Zeichnungen aber ist nur spärlich die Rede, wie denn
ja auch der Brief Vasaris an Cosimo Medici vom
22. Mai 1564 (Frey, Carteggio II p. 82) zur Enttäu-
schung seines Herrn bloß von »2 cartonettj« Erwäh-
nung tut. Wo sich damals die von Michelangelos
Vernichtungsaktion geretteten Blätter seiner 3ojähri-
gen Produktion in Rom befunden haben, wissen wir
nicht, ebensowenig, wann sie wieder mit dem Fundus
in Florenz vereinigt worden waren. Anzunehmen
bleibt, daß in des Künstlers Florentiner Haus noch
immer eine beträchtliche Masse seiner Zeichnungen
aus der Zeit seiner vorrömischen Wirksamkeit ver-
wahrt gewesen ist, denn was später bei der Gründung
der Casa Buonarroti um 1617 (?) aus Mediceischem
Besitz der Sammlung als Schenkung einverleibt
wurde, kann über die Fortifikationszeichnungen hin-
aus nicht viel gewesen sein, da schon im Inventar der
Medici von i$6y nur wenige Blätter auf geführt wer-
den2. Es ist aber zu vermuten, daß dank der Umsicht
des Großneffen nach manchen zerstreuten Zeichnun-
gen gefahndet und diese käuflich zurückerworben
wurden3, wobei dahingestellt bleiben mag, wieviel
Ateliergut unter diesem Zuwachs sich befunden hat.
Um 1620 jedenfalls dürfte das Zeichnungsgut in den
Händen von Michelangelos Erben geschlossen ver-
einigt gewesen sein, und dieser Zustand wird bis
Ende des 18. Jahrhunderts gedauert haben. - Wenn
wir von den paar Blättern absehen, die Michelangelo
seinem Freund Gherardo Perini verehrt hatte (Vasari,
ed. M. VII p. 276), so dürfte unzweifelhaft Antonio
Mini bei seinem Weggang nach Frankreich (1531)
am freigiebigsten vom Meister mit Zeichnungen und
Kartons bedacht worden sein (Vasari, ed. M. VII
p. 202, 276 f.). Viel kostbares Gut mag bei dieser
abenteuerlichen Reise teils zugrunde gegangen, zum
anderen auch im Lande geblieben sein; einiges Kon-
krete erfahren wir über das Schicksal mehrerer der
Kartons, die dank des Eifers und der Hochschätzung
Florentiner Künstler am französischen Hof bald nach
Minis Tod wieder in die Heimat gebracht wurden.
So gelang es B. Cellini nicht nur den Leda-Karton

für Florenz zu retten, der dann in die ansehnliche
Sammlung des B. Vecchietti überging (Vasari, ed. M.
VII p. 203; R. Borghini, II Riposo. Florenz 15 84 p. 13),
sondern auch vier Kartons der Sixtina »d’ignudi e
profeti« zurückzuführen, die ihm der Bildhauer
G. F. Rustici aus Minis Besitz übergeben hatte. Letz-
tere Werke sind zu Vasaris Lebzeit bei den Erben des
Girolamo degli Albizzi aufbewahrt worden (Vasari,
ed. M. VII p. 203)4.
Innerhalb des römischen Freundeskreises dürfte nie-
mand einen kostbareren Zeichnungsbesitz vereinigt
haben als Tommaso Cavalieri, was allein aus der
Tatsache zu erschließen ist, daß Kardinal Alessandro
Farnese 1587 die namhafte Summe von 500 scudi für
dessen Erwerb ausgegeben hatte. Zweifellos wird also
Cavalieri mehr als die bekannten mythologischen Ge-
schenkblätter, einige »teste divine«, seine Bildnis-
zeichnung und den Karton mit »Christi Abschied von
seiner Mutter« (Gotti II p. 155) besessen haben, sei
es, daß er vom Meister selbst noch mit anderen Blät-
tern bedacht worden war oder über Ankäufe seine
Sammlung zu erweitern suchte, was für den Erwerb

1 Das Nachlaß-Inventar (Gotti I p. 356) führt 10 große und
kleine Kartons und Zeichnungen auf; siehe auch E. Steinmann
in: Bollettino d’Arte 1923 p. 4 ff.
2 Vasari (ed. M. VII p. 272) spricht freilich von mehr als den
beiden Blättern der »Verkündigung« und des »Ölbergs« in Co-
simos Besitz: »molti altri disegni e schizzi e cartoni di M.«.
3 Unter diese rechnen die Zeichnungen aus dem Besitz des Flo-
rentiner Architekten Bernardo Buontalenti (C. Guasti, Le Rime
di Michelangelo. Florenz 1863 p. LXII), die später aus der
Casa Buonarroti ins Britische Museum gekommen sind (Kat.n.
151, 153, 162).
4 Ein weiterer Karton aus dem Sixtina-Zyklus, die Darstel-
lung von Noahs Trunkenheit, wird von Vasari (ed. M. VII
p. 271) bei dem Florentiner Bindo Altoviti als Geschenk des
Meisters erwähnt; gleicherweise berichtet auch R. Borghini (11
Riposo p. 20) von einem Fragment des Cascina-Kartons und
einem großen Karton mit »mostri di pesci secchi naturali« der
Florentiner Sammlung Ridolfo Sirigatto. - Außerhalb von Flo-
renz hat Roberto Strozzi in Mantua einige Fragmente des Cas-
cina-Kartons besessen, wie ebenfalls Vasari (ed. M. VII p. 161)
berichtet. Vgl. auch Bottari-Ticozzi, Lettere su la pittura III
Mailand 1822 n. CXLIX p. 313, und Köhler, Kunstgesch.Jahr-
buch der K.K. Zentral-Kommission, Wien 1907 p. 117, 120. Die
beiden originalen Kartonstücke im Besitz des Herzogs Vittorio
Amedeo I. in Turin, die in den dortigen Inventaren von 1621,
1631, in genauer Beschreibung im Inventar von 1633 (Le Galle-
rie Naz. Ital. III p. 3 ff.) aufgeführt werden und wahrscheinlich
bei dem Palastbrand von 1639 zugrunde gingen, sind, wie Köh-
ler (a.a.O. p. 12i) erwiesen, nicht identisch mit den Mantuaner
Fragmenten.

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