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Dvořák, Max
Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei — München [u.a.]: Oldenbourg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.44912#0012
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wesentlichen noch in unserem intellektuellen und künst-
lerischen Bewußtsein weiterlebt, ist uns bei aller Begeiste-
rung der Romantiker die geistige Kultur des Mittelalters
im vollen Sinne des Wortes eine fremde Welt, zu deren
anschaulichem Bilde wir uns erst mühsam durchringen
müssen. Darin kann zweifellos der sinnfällige Niederschlag
dessen, was dem Mittelalter an spirituellen und materiellen
Gütern wert schien, künstlerisch exemplifiziert und verewigt
zu werden, kostbare Führerdienste leisten, und ich möchte
nicht versäumen zu betonen, daß das Wichtigste, was wir
nach dieser Richtung hin von der Kunstgeschichte erwarten
können, aus ihren eigensten Aufgaben, aus der Beobach-
tung der künstlerischen Bestrebungen und Ausdrucksmittel
in ihrer immanenten und autonomen Entwicklung erfließen
muß. Dies besagt aber durchaus nicht, daß man sich im
stolzen Gefühle dieser Lösung der kunstgeschichtlichen Pro-
bleme im eigenen Wirkungskreise, wie sie in der letzten Zeit
zuweilen verlangt wurde, Erkenntnissen verschließen müßte,
die zur Beurteilung der allgemeinen geistigen Situation des
Mittelalters, sei es aus der fortschreitenden Erforschung
anderer Gebiete des mittelalterlichen Geisteslebens, sei es
aus dessen ursprünglichen literarischen Denkmälern, heran-
gezogen werden können. Nicht um, wie man es in Schnaases
Zeit versuchte, künstlerische Erscheinungen in einen ur-
sächlichen Zusammenhang mit der Entstehung neuer wirt-
schaftlicher, sozialer, religiöser Zustände zu bringen, was
ja längst als unfruchtbar erkannt wurde, und auch nicht,
um den geistigen Inhalt der mittelalterlichen Kunstwerke etwa
aus den Schriften der großen mittelalterlichen Theologen ab-
zuleiten, deren Einfluß auf die Kunst, wenn er bestanden
hat, kaum irgendwie historisch faßbar sein dürfte. Doch
was uns den wertvollsten Anhaltspunkt zur richtigen Be-
urteilung der mittelalterlichen Kunstwerke bieten kann, ihr
von allem uns Vertrautem abweichender geistiger Inhalt
und die durch ihn bedingte eigentümliche und geschichtlich
unendlich wichtige Entwicklung des Verhältnisses zu trans-
zendenten Ideen einerseits, zu den realen Tatsachen und
Gütern der Natur und des Lebens anderseits — die wich-
tigste Quelle der inneren Wandlungen in der mittelalter-
 
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