ÜBER GRECO UND DEN MANIERISMUS
ner Werke beruhten, sondern auch deshalb, weil in diesem persönlichen
Schicksal sich auch das Schicksal der damaligen Kultur und Kunst
vollzogen hat. Nicht Massen, wie das vorige Jahrhundert glaubte, son-
dern geistig führende Menschen bestimmen die Entwicklung und die
ganze geistige und materielle Kultur; und mag auch die sixtinische
Decke, die mediceische Kapelle oder das Jüngste Gericht nach wie vor
ein Reservoir formaler Lösungen gebildet haben, so geht doch von den
besprochenen letzten Werken Michelangelos der Impuls aus, der für die
italienische Kunst der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entscheidend
war, wie uns ein zweiter großer Künstler belehren kann, der für Grecos
Werdegang von entscheidender Bedeutung war.
Dies war Tintoretto. Auch bei ihm hat sich,und zwar gerade in jenen
sieben Lehrjahren des Toledaner Meisters, eine geistige Wiedergeburt
vollzogen. Man nannte sie den Übergang vom goldenen zum grünen Stil
und zerbrach sich nicht den Kopf darüber, was dieser Übergang zu be-
deuten habe. Er bestand darin, daß Tintoretto die Farbenpracht seiner
Jugendwerke, in denen er mit Tizian rivalisierte, durch ein graugrünes
Kolorit ersetzte, eine Aschermittwochfarbe, aus der nur einzelne Töne
wie feurige Blumen hervorleuchten. Die Bedeutung dieser Neuerung
ist klar. Bis dahin bestand die Bedeutung der venezianischen Malerei
in der reichsten Entwicklung des naturalistischen Farbensensualismus.
Diesen ersetzte Tintoretto durch ein gespensterhaftes Phantasiespiel,
für welches die Farbe in rauchigen Massen und zuckenden Blitzen nur
ein Widerspiel subjektiver, von der Beobachtung und der Wiedergabe
der Wirklichkeit unabhängiger Seelenzustände geworden ist.
Doch es handelt sich nicht nur um die Farbe. Seltsam verschlingt sich
die Komposition, wie in der ehernen Schlange, zu Gebilden, in denen
langgestreckte, biegsame Gestalten ohne Rücksicht auf die Natürlich-
keit der Stellungen oder der räumlichen Disposition von geheimnis-
vollen Gesetzen einer leidenschaftlichen Pathetik durcheinanderge-
würfelt sind. Man sieht einen Hexensabbat von wildverschlungenen
Körpern und Linien; Formen, die aus dem Dunkel hervorleuchten, als
wären die Körper auseinandergerissen; und über all dem wie Irrlicht
herumhuschende Lichter, als ob es sich um einen Spuk handeln würde.
Dann wiederum eine Vision in der Himmelfahrt Christi. Die Landschaft
und die in ihr zerstreuten Apostel, früher der Angelpunkt aller Darstel-
lungen des Begebnisses, sind bis auf einen in den Hintergrund gerückt
und wie hingehaucht; das Wirkliche ist unwirklich geworden, und wirk-
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ner Werke beruhten, sondern auch deshalb, weil in diesem persönlichen
Schicksal sich auch das Schicksal der damaligen Kultur und Kunst
vollzogen hat. Nicht Massen, wie das vorige Jahrhundert glaubte, son-
dern geistig führende Menschen bestimmen die Entwicklung und die
ganze geistige und materielle Kultur; und mag auch die sixtinische
Decke, die mediceische Kapelle oder das Jüngste Gericht nach wie vor
ein Reservoir formaler Lösungen gebildet haben, so geht doch von den
besprochenen letzten Werken Michelangelos der Impuls aus, der für die
italienische Kunst der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entscheidend
war, wie uns ein zweiter großer Künstler belehren kann, der für Grecos
Werdegang von entscheidender Bedeutung war.
Dies war Tintoretto. Auch bei ihm hat sich,und zwar gerade in jenen
sieben Lehrjahren des Toledaner Meisters, eine geistige Wiedergeburt
vollzogen. Man nannte sie den Übergang vom goldenen zum grünen Stil
und zerbrach sich nicht den Kopf darüber, was dieser Übergang zu be-
deuten habe. Er bestand darin, daß Tintoretto die Farbenpracht seiner
Jugendwerke, in denen er mit Tizian rivalisierte, durch ein graugrünes
Kolorit ersetzte, eine Aschermittwochfarbe, aus der nur einzelne Töne
wie feurige Blumen hervorleuchten. Die Bedeutung dieser Neuerung
ist klar. Bis dahin bestand die Bedeutung der venezianischen Malerei
in der reichsten Entwicklung des naturalistischen Farbensensualismus.
Diesen ersetzte Tintoretto durch ein gespensterhaftes Phantasiespiel,
für welches die Farbe in rauchigen Massen und zuckenden Blitzen nur
ein Widerspiel subjektiver, von der Beobachtung und der Wiedergabe
der Wirklichkeit unabhängiger Seelenzustände geworden ist.
Doch es handelt sich nicht nur um die Farbe. Seltsam verschlingt sich
die Komposition, wie in der ehernen Schlange, zu Gebilden, in denen
langgestreckte, biegsame Gestalten ohne Rücksicht auf die Natürlich-
keit der Stellungen oder der räumlichen Disposition von geheimnis-
vollen Gesetzen einer leidenschaftlichen Pathetik durcheinanderge-
würfelt sind. Man sieht einen Hexensabbat von wildverschlungenen
Körpern und Linien; Formen, die aus dem Dunkel hervorleuchten, als
wären die Körper auseinandergerissen; und über all dem wie Irrlicht
herumhuschende Lichter, als ob es sich um einen Spuk handeln würde.
Dann wiederum eine Vision in der Himmelfahrt Christi. Die Landschaft
und die in ihr zerstreuten Apostel, früher der Angelpunkt aller Darstel-
lungen des Begebnisses, sind bis auf einen in den Hintergrund gerückt
und wie hingehaucht; das Wirkliche ist unwirklich geworden, und wirk-
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