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Dvořák, Max
Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance: Akademische Vorlesungen (Band 1): Das 14. u. 15. Jahrhundert — Muenchen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.42342#0236
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REFORM

Antike nicht ausgenommen, war die wissenschaftliche Illustration
mehr oder weniger ein Symbol oder ein beiläufiges Promemoria;
nun wurde sie zum Grundstein nicht nur der Verbreitung der Wahr-
nehmungen und Funde, sondern auch des Weiterbauens auf dem,
was die Vorgänger beobachtet oder experimentell festgestellt hatten.
Das gilt natürlich nicht nur für naturwissenschaftliche Studien, son-
dern auch für technische Probleme. Man pflegt, wenn man kultur-
geschichtlich die Grenze zwischen der Neuzeit und dem Mittelalter
zu ziehen versucht, auf die großen Erfindungen hinzuweisen: nicht
nur auf die konkreten Entdeckungen, sondern auf die neue Bedeu-
tung der technischen Probleme überhaupt und alles, was damit zu-
sammenhängt. Im Mittelalter haben sie keine Rolle gespielt; man
hatte sich zwar eine ganz wundervolle Konstruktion ersonnen, durch
die in den Kathedralen die zum Himmel strebende Höhe ohne Schwere,
die Abgrenzung der heiligen Stätte ohne Abschluß gegen das Uni-
versum ermöglicht wurde, damit waren aber die technischen Auf-
gaben im wesentlichen erschöpft; denn da das weltliche Leben an
sich nichtig war, ein Zustand des Überganges, von überrationellen
Kräften regiert, gab es wenig Bedürfnis und Neigung, sich mit mannig-
faltigen technischen Problemen zu beschäftigen. Nachdem aber das
natürliche Spiel der Kräfte, das Verhältnis von natürlicher Ursache
und Wirkung der Angelpunkt des Verhältnisses zur Umwelt geworden
ist, haben naturgemäß überall technische Gesichtspunkte und Fort-
schritte eine bis dahin unbekannte Entfaltung gewonnen, ähnlich wie
aus denselben Gründen in derselben Zeit der Kapitalismus oder der
moderne Komfort sich zu entwickeln begonnen haben. Mit dieser
allgemeinen Strömung verbindet nun Leonardo die neue exakte Dar-
stellungsmethode und das konsequente Studium der Dinge, das sich
in den florentinischen Werkstätten entwickelt hat, und so war er der
erste, der technischen Aufgaben der mannigfaltigsten Art exakte
Zeichnungen zugrunde legte, der erste, der, von solchen Zeichnungen
ausgehend, unermüdlich auf neue Lösungen gesonnen, der erste,
der ein technisches Studium über das Gebiet der künstlerisch oder
praktisch abgegrenzten Betätigung hinaus um seiner selbst willen
■— überall wo es seinem Geist Anregung bot — als eine neue Sphäre
der geistigen Beschäftigung erschlossen hat. Mit wunderbarer Prä-
zision zeichnet er Maschinen, Werkzeuge, Konstruktionen, technische
Anlagen der verschiedensten Art und erfindet, um nur einiges zu

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