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DIE HOCHRENAISSANCE

ihm näherten, als Blüte der Kunst, Perioden, die sich von ihm ent-
fernten, als Verfallszeiten bestimmt wurden. Auch dieses Gemälde,
dessen Inhalt man unnützerweise in tiefsinnigen Erklärungsversuchen
zu deuten versucht hat, ist ein Beispiel der altbeliebten sacra conver-
sazione: die Madonna mit dem heiligen Sixtus und der heiligen Bar-
bara. Nur ist der Schauplatz ein anderer geworden, nicht mehr ein
irdisch trautes Beisammensein, nicht nur die Madonna allein über der
irdischen Szene schwebend, sondern die ganze heilige Vereinigung, wie
in der altchristlichen Kunst, in einen Idealraum versetzt. Ein Vorhang
hat sich geöffnet und man sieht, wie durch ein Fenster, an dessen
Brüstung sich zwei Engel lehnen, in einen freien Raum, in dem die
Madonna auf der Erdkugel schreitend, die Heiligen von Wolken um-
geben knieend dargestellt sind. So haben die Gestalten festen Boden
unter sich und erscheinen doch schwebend — eine Illusion, erzeugt da-
durch, daß alles vermieden ist, was den Eindruck der Schwere, des
Lastens hervorrufen könnte. Leicht schreitet die Madonna, den Boden
kaum berührend aus dem Bilde heraus und in den substanzlosen Luft-
raum hinein; bei den Heiligen wird das Knieen auf festem Boden durch
die Wolken verschleiert, in denen sie wie in weichem Schnee versinken.
Dadurch wird auch das Stellungsmotiv in seiner statuarischen Be-
deutung gemildert und tritt der Silhouettenwirkung gegenüber zurück.
Auch bei der Anordnung der Gewänder ist alles Lastende vermieden;
die Vertikalen überwiegen, doch nicht in ruhigen Linien, sondern in
bewegten — es ist, als bewegte ein Windhauch die Gewänder, der
Mantel des Papstes flattert, das Gewand der Madonna, ihr Mantel und
dessen über den Kopf geschlagener Teil sind aufgebauscht. Diese Be-
wegung verleiht der Komposition um so mehr die Wirkung des leichten
Schwebens, als die durch sie hervorgerufenen Diagonallinien parallel
laufen und die Einheitlichkeit der Richtung unterstreichen. Demselben
Zweck dient auch der Kontrast mit der ruhigen Horizontalen der unten
befindlichen Balustrade, die durch die sich anlehnenden Engel und die
darauf stehende Tiara als unbewegter Körper charakterisiert ist. Es
ist also eine visionäre Szene, doch mit naturalistischen Mitteln, den
Errungenschaften der Renaissance, dargestellt. Der Sinn dieser Errun-
genschaften hat sich aber verändert: sie hörten auf Selbstzweck zu
sein und dienen dazu, ein reines Phantasiegebilde lebensvoller zu ge-
stalten. Unterstützt wird der visionäre Charakter durch die starke
Beziehung zum Beschauer. In älteren Gemälden dieser Art ist der

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