DIE ENTSTEHUNG DER BAROCKKUNST
geistert aus dem Bilde heraus, als würde sie das Gemälde betrachten,
das auf der gegenüberliegenden Wand hängt.
Hier wird dem Tageslichte eine Nachtszene entgegengesetzt, dem
grünen Ton, der alles deutlich erkennen läßt und doch so trügerisch
ist, eine Welt der Schatten, dunkel aber zum wahren Lichte führend.
In diesem seinen letzten Gemälde malt Tintoretto wieder das Abend-
mahl. Die Komposition erinnert einigermaßen an die „Hochzeit zu
Kana“, nur ist die scharfe Begrenzung des Raumes, die dort so cha-
rakteristisch war, hier verschwunden. Der Raum ist wie von Rauch-
wolken erfüllt, die jede Begrenzung aufheben, und in seinen oberen
Partien nur spärlich von einer Lampe erhellt. In weitem Kreise um
den Abendmahltisch herum die Diener, die ruhig ihrer Arbeit nach-
gehen, während sich in ihrer Mitte das Wunder vollzieht. Mit beiden
Händen reicht Christus seinem Nachbar den Bissen in andächtiger
Feierlichkeit. Nicht die ekstatische Religionsstiftung ist hier darge-
stellt, sondern das Sakrament selbst, die Verwandlung des Faßbaren
ins Unfaßbare, und dieses Ereignis ruft in den daran teilnehmenden
Aposteln nicht Handlungen, sondern wunderbare Erlebnisse hervor.
Von der Gestalt Christi geht ein zweites Licht aus, sieghaft die Dunkel-
heit durchdringend, und über den Köpfen beginnt es sich zu regen,
die Rauchwolken verwandeln sich in beflügelte Gestalten, und was
sich in den Herzen und Gedanken der Apostel vollzieht, ihre Ergriffen-
heit und Andacht, das Erleben des Wunders der Transsubstanziation,
das Unsagbare, das Mysterium, gewinnt bildlichen Ausdruck. — Kein
anderer Abschluß dieses langen Künstlerlebens hätte erhabener sein
können. Wenn man einmal lernen wird, die Entwicklung der Kunst
nicht nur vom Standpunkt der Naturnachahmung und der formalen
Probleme, sondern auch vom Standpunkt der rein geistigen Vertiefung
zu betrachten, wird man dieses Gemälde zweifellos zu ihren aller-
höchsten Gipfelpunkten zählen.
4. DIE FLORENTINER
Zwei Richtungen des Manierismus sind noch zu erörtern: die florenti-
nische und die an Correggio anknüpfende. Die erste hat keinen großen
Einfluß auf die Entwicklung der Barockkunst gehabt, doch als Signa-
tur derZeit ist sie im höchsten Grad interessant. Florenz war bis zum
Beginn des XVI. Jahrhunderts das führende Kunstzentrum Italiens,
seine Kunst war die vorgeschrittenste. Diese führende Rolle mußte
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geistert aus dem Bilde heraus, als würde sie das Gemälde betrachten,
das auf der gegenüberliegenden Wand hängt.
Hier wird dem Tageslichte eine Nachtszene entgegengesetzt, dem
grünen Ton, der alles deutlich erkennen läßt und doch so trügerisch
ist, eine Welt der Schatten, dunkel aber zum wahren Lichte führend.
In diesem seinen letzten Gemälde malt Tintoretto wieder das Abend-
mahl. Die Komposition erinnert einigermaßen an die „Hochzeit zu
Kana“, nur ist die scharfe Begrenzung des Raumes, die dort so cha-
rakteristisch war, hier verschwunden. Der Raum ist wie von Rauch-
wolken erfüllt, die jede Begrenzung aufheben, und in seinen oberen
Partien nur spärlich von einer Lampe erhellt. In weitem Kreise um
den Abendmahltisch herum die Diener, die ruhig ihrer Arbeit nach-
gehen, während sich in ihrer Mitte das Wunder vollzieht. Mit beiden
Händen reicht Christus seinem Nachbar den Bissen in andächtiger
Feierlichkeit. Nicht die ekstatische Religionsstiftung ist hier darge-
stellt, sondern das Sakrament selbst, die Verwandlung des Faßbaren
ins Unfaßbare, und dieses Ereignis ruft in den daran teilnehmenden
Aposteln nicht Handlungen, sondern wunderbare Erlebnisse hervor.
Von der Gestalt Christi geht ein zweites Licht aus, sieghaft die Dunkel-
heit durchdringend, und über den Köpfen beginnt es sich zu regen,
die Rauchwolken verwandeln sich in beflügelte Gestalten, und was
sich in den Herzen und Gedanken der Apostel vollzieht, ihre Ergriffen-
heit und Andacht, das Erleben des Wunders der Transsubstanziation,
das Unsagbare, das Mysterium, gewinnt bildlichen Ausdruck. — Kein
anderer Abschluß dieses langen Künstlerlebens hätte erhabener sein
können. Wenn man einmal lernen wird, die Entwicklung der Kunst
nicht nur vom Standpunkt der Naturnachahmung und der formalen
Probleme, sondern auch vom Standpunkt der rein geistigen Vertiefung
zu betrachten, wird man dieses Gemälde zweifellos zu ihren aller-
höchsten Gipfelpunkten zählen.
4. DIE FLORENTINER
Zwei Richtungen des Manierismus sind noch zu erörtern: die florenti-
nische und die an Correggio anknüpfende. Die erste hat keinen großen
Einfluß auf die Entwicklung der Barockkunst gehabt, doch als Signa-
tur derZeit ist sie im höchsten Grad interessant. Florenz war bis zum
Beginn des XVI. Jahrhunderts das führende Kunstzentrum Italiens,
seine Kunst war die vorgeschrittenste. Diese führende Rolle mußte
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