In technischer Beziehung weist das Blatt verschie-
dene Merkwürdigkeiten auf, die nicht allzu häufig
wiederkehren. Zunächst fällt auf, daß die schwarzen
Stellen der Darstellung vertieft erscheinen, während sich
alles, was weiß ist, plastisch über der glatten Fläche des
Papieres erhebt. Es läßt sich dies wohl nur dadurch
erklären, daß die geschwärzten Partien in der ebenen
Fläche der Metallplatte liegen, die weißen Linien jedoch
eingetieft sind, und daß dann das Ganze bei ausnehmend
scharfer Arbeit und weichem Metall (Messing ?) mit be-
wußter Kraft in das vielleicht zuvor stark angefeuchtete
und auf weicher Unterlage aufliegende Papier eingepreßt
wurde. Durch dieses Verfahren ist eine seltene Brillanz
in der Wirkung herbeigeführt worden, zumal auch in den
Tiefen mit verschiedenen Höhenlagen gearbeitet worden
ist. (Siehe hierüber auch das am Schluß Gesagte!)
Auffallend ist ferner die technische Manier zur Model-
lierung des Mantels der Maria und der Mondsichel samt
dem in ihr befindlichen Antlitz. Dem flüchtigen Blick
bietet sich eine dem Punktierverfahren sehr verwandte
Manier. Blickt man aber näher hin, so wird man ge-
wahr, daß diese samtartigen Partien mittelst einer Un-
menge mit größter Mühseligkeit eingetiefter, ganz zarter
Strichlein hergestellt worden sind. Die Feinheit in der
Durchführung muß unwillkürlich unsere Bewunderung
erregen. Sämtliche Linien sind mit großer Sicherheit
geführt und scharf begrenzt. Neben der erwähnten Eigen-
art in der Technik, welche sich auf die Mittelachse des
Blattes beschränkt, kommen auch einfache Schraffuren in
reichlichem Maße vor, und zwar im allgemeinen für die
Markierung der Schatten. Mit der Sauberkeit in der
Technik verbindet sich eine große Klarheit des Ab-
drucks, so daß das Blatt schon dadurch vorteilhaft her-
vorsticht.
Aber auch die künstlerische Qualität des Blattes
ist keine geringe. Ein klarer Gedanke durchzieht die
Darstellung. Es ist eine Glorifikation der Gottesmutter
als Himmelskönigin mit Hinzuziehung der Jünger des
Sohnes und der vier Evangelisten, die sich die Schilderung
seines Lebens zum Ziel gesetzt. Monumental ist die
Komposition, gediegen ihre Durchführung. Allenthalben
verspüren wir das Schalten eines Geistes, der mit Be-
wußtsein die Verwirklichung seiner Idee verfolgt. Von
großer Bestimmtheit ist die Gestalt der Maria. Sicher
umrissen hebt sie sich von dem Gloriengrunde ab. Aber
auch in der Detaillierung des Gewandes begegnen wir
positiver Sicherheit. Nur das Antlitz ist etwas herb.
Vielleicht aber liegt gerade hierin eine Absicht und wollte
der Künstler damit die erhabene Hoheit der Himmels-
königin ausdrücken, ist doch auch der Jesusknabe in
Miene und Gebärden weit lebhafter gegeben. In den
Köpfen der kleinen Apostelfiguren ist eine verschieden-
artige Charakterisierung nicht unversucht gelassen. Im
Ornament gibt sich der Künstler als virtuoser Meister zu
erkennen.
Das Blatt ist unkoloriert gelassen. Scheinbar ist aber
der Versuch zu einer Kolorierung gemacht, jedoch als-
bald erkannt worden, daß eine farbige Behandlung das
Blatt in seiner Wirkung nur beeinträchtigt hätte. Das
Kleid des Knaben ist nämlich mit einem schmutzig-
grünen Ton leicht laviert.
Erworben wurde das Blatt i. J. 1896 aus Privatbesitz
in Bochum um 300 Mark. Der damalige Katalog-Ein-
trag bezeichnete es als eine rheinisch-westfälische Arbeit
und datierte es um 1440—1450.
Um 1440—50.
Schreiber 2509.
Schreiber kennt unser Blatt nicht durch Autopsie,
sondern nur nach Photographien, die er in verschiedenen
Sammlungen sah; doch hält er es für wahrscheinlich,
daß dasselbe das Original zu dem im Gegensinn ausge-
führten, ganz ähnlichen Blatt Schreiber 2508 ist. Und
damit hat er entschieden Recht. Man braucht unser
Blatt nur mit dem in der Nationalbibliothek zu Paris be-
findlichen, das Bouchot als Nr. 74 abbildet, zu ver-
gleichen, und man wird gar bald erkennen, wie dieses
die Feinheiten des ersteren vergröbert hat. Bouchot bringt
die Pariser Kopie in Zusammenhang mit Simon Vostre
und läßt sie um 1445 im nordwestlichen Frankreich ent-
standen sein; Schreiber inkliniert für eine Entstehung
jener am Rhein in der Zeit von 1460—70. Er hält es
nicht für ausgeschlossen, daß die Kopie ein Gegenstück
ist zu dem S. Gregorius in Wien (Schreiber 2650), den
er um 1470 am Niederrhein ansetzt. Wir werden wohl
an der durch die seinerzeitige Katalog-Notiz festgelegten
Datierung unseres Blattes festzuhalten haben. Höchstens
wäre sie der Mitte des Jahrhunderts etwas näher zu
rücken. Statt am Niederrhein aber möchte man es sich
eher am Mittelrhein entstanden denken. Die Kopie
dürfte aber kaum sehr wesentlich später sein, wobei
unter anderem die Aehnlichkeit der Wasserzeichen ins
Auge zu fassen wäre. Nicht unterlassen möchte ich, da-
rauf hinzuweisen, daß Bouchot in seinem Aufsatz «Ueber
einige Inkunabeln des Kupferstichs aus dem Gebiete von
Douai» in der Zeitschrift f. bild. Kunst XV (1904) aber-
mals mit Energie für einen französischen Ursprung des
Pariser Blattes eintritt. Der Beweis scheint meines Er-
achtens nicht erbracht. Doch eine Beobachtung Bouchots
hat viel für sich, daß nämlich die Platte des Pariser und
damit auch unseres Blattes von einem Goldschmied für
die Dekoration eines Kultgegenstandes geschaffen worden
ist und uranfänghch nicht dazu bestimmt war, auf Papier
abgezogen zu werden. Dies geschah vielmehr erst später.
Die vielen Eigentümlichkeiten, die wir bei unserem Blatte
fanden, würden durch eine solche Annahme eine unge-
zwungene Erklärung finden. Man denke z. B. an die um-
dene Merkwürdigkeiten auf, die nicht allzu häufig
wiederkehren. Zunächst fällt auf, daß die schwarzen
Stellen der Darstellung vertieft erscheinen, während sich
alles, was weiß ist, plastisch über der glatten Fläche des
Papieres erhebt. Es läßt sich dies wohl nur dadurch
erklären, daß die geschwärzten Partien in der ebenen
Fläche der Metallplatte liegen, die weißen Linien jedoch
eingetieft sind, und daß dann das Ganze bei ausnehmend
scharfer Arbeit und weichem Metall (Messing ?) mit be-
wußter Kraft in das vielleicht zuvor stark angefeuchtete
und auf weicher Unterlage aufliegende Papier eingepreßt
wurde. Durch dieses Verfahren ist eine seltene Brillanz
in der Wirkung herbeigeführt worden, zumal auch in den
Tiefen mit verschiedenen Höhenlagen gearbeitet worden
ist. (Siehe hierüber auch das am Schluß Gesagte!)
Auffallend ist ferner die technische Manier zur Model-
lierung des Mantels der Maria und der Mondsichel samt
dem in ihr befindlichen Antlitz. Dem flüchtigen Blick
bietet sich eine dem Punktierverfahren sehr verwandte
Manier. Blickt man aber näher hin, so wird man ge-
wahr, daß diese samtartigen Partien mittelst einer Un-
menge mit größter Mühseligkeit eingetiefter, ganz zarter
Strichlein hergestellt worden sind. Die Feinheit in der
Durchführung muß unwillkürlich unsere Bewunderung
erregen. Sämtliche Linien sind mit großer Sicherheit
geführt und scharf begrenzt. Neben der erwähnten Eigen-
art in der Technik, welche sich auf die Mittelachse des
Blattes beschränkt, kommen auch einfache Schraffuren in
reichlichem Maße vor, und zwar im allgemeinen für die
Markierung der Schatten. Mit der Sauberkeit in der
Technik verbindet sich eine große Klarheit des Ab-
drucks, so daß das Blatt schon dadurch vorteilhaft her-
vorsticht.
Aber auch die künstlerische Qualität des Blattes
ist keine geringe. Ein klarer Gedanke durchzieht die
Darstellung. Es ist eine Glorifikation der Gottesmutter
als Himmelskönigin mit Hinzuziehung der Jünger des
Sohnes und der vier Evangelisten, die sich die Schilderung
seines Lebens zum Ziel gesetzt. Monumental ist die
Komposition, gediegen ihre Durchführung. Allenthalben
verspüren wir das Schalten eines Geistes, der mit Be-
wußtsein die Verwirklichung seiner Idee verfolgt. Von
großer Bestimmtheit ist die Gestalt der Maria. Sicher
umrissen hebt sie sich von dem Gloriengrunde ab. Aber
auch in der Detaillierung des Gewandes begegnen wir
positiver Sicherheit. Nur das Antlitz ist etwas herb.
Vielleicht aber liegt gerade hierin eine Absicht und wollte
der Künstler damit die erhabene Hoheit der Himmels-
königin ausdrücken, ist doch auch der Jesusknabe in
Miene und Gebärden weit lebhafter gegeben. In den
Köpfen der kleinen Apostelfiguren ist eine verschieden-
artige Charakterisierung nicht unversucht gelassen. Im
Ornament gibt sich der Künstler als virtuoser Meister zu
erkennen.
Das Blatt ist unkoloriert gelassen. Scheinbar ist aber
der Versuch zu einer Kolorierung gemacht, jedoch als-
bald erkannt worden, daß eine farbige Behandlung das
Blatt in seiner Wirkung nur beeinträchtigt hätte. Das
Kleid des Knaben ist nämlich mit einem schmutzig-
grünen Ton leicht laviert.
Erworben wurde das Blatt i. J. 1896 aus Privatbesitz
in Bochum um 300 Mark. Der damalige Katalog-Ein-
trag bezeichnete es als eine rheinisch-westfälische Arbeit
und datierte es um 1440—1450.
Um 1440—50.
Schreiber 2509.
Schreiber kennt unser Blatt nicht durch Autopsie,
sondern nur nach Photographien, die er in verschiedenen
Sammlungen sah; doch hält er es für wahrscheinlich,
daß dasselbe das Original zu dem im Gegensinn ausge-
führten, ganz ähnlichen Blatt Schreiber 2508 ist. Und
damit hat er entschieden Recht. Man braucht unser
Blatt nur mit dem in der Nationalbibliothek zu Paris be-
findlichen, das Bouchot als Nr. 74 abbildet, zu ver-
gleichen, und man wird gar bald erkennen, wie dieses
die Feinheiten des ersteren vergröbert hat. Bouchot bringt
die Pariser Kopie in Zusammenhang mit Simon Vostre
und läßt sie um 1445 im nordwestlichen Frankreich ent-
standen sein; Schreiber inkliniert für eine Entstehung
jener am Rhein in der Zeit von 1460—70. Er hält es
nicht für ausgeschlossen, daß die Kopie ein Gegenstück
ist zu dem S. Gregorius in Wien (Schreiber 2650), den
er um 1470 am Niederrhein ansetzt. Wir werden wohl
an der durch die seinerzeitige Katalog-Notiz festgelegten
Datierung unseres Blattes festzuhalten haben. Höchstens
wäre sie der Mitte des Jahrhunderts etwas näher zu
rücken. Statt am Niederrhein aber möchte man es sich
eher am Mittelrhein entstanden denken. Die Kopie
dürfte aber kaum sehr wesentlich später sein, wobei
unter anderem die Aehnlichkeit der Wasserzeichen ins
Auge zu fassen wäre. Nicht unterlassen möchte ich, da-
rauf hinzuweisen, daß Bouchot in seinem Aufsatz «Ueber
einige Inkunabeln des Kupferstichs aus dem Gebiete von
Douai» in der Zeitschrift f. bild. Kunst XV (1904) aber-
mals mit Energie für einen französischen Ursprung des
Pariser Blattes eintritt. Der Beweis scheint meines Er-
achtens nicht erbracht. Doch eine Beobachtung Bouchots
hat viel für sich, daß nämlich die Platte des Pariser und
damit auch unseres Blattes von einem Goldschmied für
die Dekoration eines Kultgegenstandes geschaffen worden
ist und uranfänghch nicht dazu bestimmt war, auf Papier
abgezogen zu werden. Dies geschah vielmehr erst später.
Die vielen Eigentümlichkeiten, die wir bei unserem Blatte
fanden, würden durch eine solche Annahme eine unge-
zwungene Erklärung finden. Man denke z. B. an die um-