Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schulz, Fritz Traugott [Hrsg.]; Germanisches Nationalmuseum <Nürnberg> [Hrsg.]; Heitz, Paul [Hrsg.]
Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts (Band 13): Die Schrotblätter des Germanischen Nationalmuseums zu Nürnberg — Straßburg, 1908

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.21233#0028
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gekehrten Beischriften! Drücken wir uns darum, was die |
Datierung betrifft, etwas vorsichtiger aus und sagen wir,
daß die Platte, von der unser Blatt abgezogen wurde, in
der Zeit zwischen 1440 und 1450 entstanden ist.

13. Maria mit dem Kinde vor einem
Vorhang.

Vor einem mit grotesken Blättern gemusterten Vor-
hang, den seitlich zwei Rankenbordüren begleiten, steht,
als Dreiviertelfigur sichtbar, die jugendlich charakterisierte
Mutter. Sie ist wenig nach links (vom Beschauer) gewandt
und hält vor sich mit beiden Händen das nackte Jesuskind,
das vor ihrer rechten Brust nach rechts hin sitzt. Sie trägt
ein eng anliegendes Untergewand, das über der Brust sicht-
bar heraustritt, mittelst eines Fadens zusammengeschnürt
und mit großen Blättern über schwarzem Grunde ge-
mustert ist. Der mit dem linken Unterarm frei vortretende
Aermel liegt ebenfalls eng an und ist mit großen sechs-
blättrigen Blumen über schwarzem Grunde belebt. Da-
rüber liegt das weitärmelige Obergewand, das mit pracht-
vollen Borden besetzt ist. Diese werden von zwei schwar-
zen, weißgerandeten und von einer weißen Perlenlinie
durchzogenen Streifen eingefaßt. Den schwarzen Innen-
raum gliedern abwechselnd kleine Ovale und in Form
eines Andreaskreuzes zusammengestellte Eichenblätter
mit drei weißen Pünktchen dazwischen. Hinzu kommt
noch ein drittes Kleidungsstück: ein großes faltenreiches I
Kopftuch, das sich, die Brust frei lassend, über die linke
Schulter herabzieht und im Bogen nach links hin strebt,
wo es unter dem Kinde emporgerafft ist. Dadurch, daß
es sowohl die zierlich behandelte Oberfläche wie die
mit weißen Punkten reich belebte Futterseite zeigt, wird
die dekorative Pracht des Bildes um ein wesentliches
gesteigert. Bouchot wird bei dieser Form der Kopfbe-
deckung erinnert an diejenige, welche die Londoner
Frauen seit dem Jahre 1450 trugen (!). Das Haupt ist
nach links herabgeneigt. Die Augenbrauen werden durch
kräftige Linien bezeichnet, welche mit den seitlichen Be-
grenzungslinien für die schmale Nase zusammenlaufen.
Die Augendeckel, die schwer zu lasten scheinen, sind
etwas herabgezogen, so daß das eigentliche Auge als ein
sichelartiger Schlitz erscheint. Der Mund ist klein. Die
Lippen sind dicht aufeinander gepreßt. Die vertikale
Vertiefung der Oberlippe ist durch einen weißen, schwarz
begrenzten Streifen, der zwischen Nase und Mund hin-
läuft, ausgeprägt. Das in der Mitte gescheitelte, wellige
Haar wird über der Stirn von einem Reif mit weißem
Perlenkranz zusammengehalten und tritt beiderseits unter
dem Kopftuche hervor. Ein Scheibennimbus, der mit radial
arrangierten Strahlen gefüllt ist, umzieht das Haupt. Die
voll sichtbare linke Hand zeigt sechs (!) dünne und lange
Finger. Sie legt sich um den rechten Oberschenkel des
Kindes, das über einem besonderen Tuch gehalten wird,

während die mit der inneren Fläche nach vorn gerichtete
rechte Hand jenes am Rücken und rechten Oberarm faßt. Die
Gesten der Hände des Kindes scheinen die des dozierenden
Sprechens zu sein. Die Charakterisierung des Antlitzes
entspricht derjenigen des Antlitzes der Mutter. Das Haar
ist aus einzelnen Locken zusammengesetzt. Der Nimbus,
der bis zum Nacken herabreicht, ist mit radialen Strahlen
gefüllt, die durch die Enden eines inneren Kreuzes unter-
brochen werden. Die seitlichen Borden des Wandbehanges
zeigen über schwarzem Grunde eine in regelmäßiger
Windung nach oben verlaufende Ranke mit speerspitzen-
artigen Blättern und vierteiligen wie fünfteiligen Blumen.
Als Einfassung dient eine kräftige schwarze Linie. An
verschiedenen Stellen, namentlich in den seitlichen Bor-
düren ist die Darstellung durch Herausfressen des Pa-
pieres zerstört. Letzteres tritt mit schmalem Rand rings
über die Einfassung hervor. 18,7 cm h., 12,9—12,4 cm br.

Technisch betrachtet fällt die große Weichheit der
Linien auf, die an einen Holzschnitt denken lassen könnte.
Doch wird eine solche Annahme hinfällig, sobald man eine
genauere Prüfung der Linien vornimmt. Ihre satte Weichheit
erklärt sich aus einer forcierten Anwendung des Reiß-
messers über einem sehr empfindlichen Metall, ein Um-
stand, der übrigens dazu zwingt, das Blatt nicht der frühe-
sten Epoche der Schrotkunst zuzuweisen. Gerne schließt
der Meister an diese schwarzen Linien im Winkel sich nach
den weißen Flächen hin verflüchtigende Schraffuren an,
hierdurch eine sehr wirksame Modellierung erzielend.
Geschehen ist dies in den Fleischpartien sowie an den
Falten des Obergewandes. Beim Kopftuch hat eine
andere Manier Platz gegriffen. Hier legt sich zur besseren
Heraushebung aus dem mit Punkten reich gefüllten
Untergrunde neben die schwarze Linie eine breit ausge-
sparte weiße Linie. Das Futter des Kopftuches ist durch
weiße Punkte belebt, die aber keineswegs stets rund
sind und immer die gleiche Größe haben. Die obere
Fläche ist kreuzweise schraffiert und mit weißen Punkten
übersät, die von größerer Regelmäßigkeit sind. Im übrigen
fand für die in Menge zutage tretenden, meist feinen
Schraffierungen der Grabstichel hinreichend Arbeit.

Das Blatt erhält sein eigentliches Gepräge durch die
Pracht und ornamentale Auszierung der Gewandung, nicht
minder aber auch durch die Verwendung eines gemuster-
ten Teppichs als dekorativen Untergrundes. Bei aller Sicher-
heit in der Zeichnung ist das Können des Meisters im
Figürlichen nicht absonderlich groß. Er sieht das Ge-
wand, nicht die Figur im Gewände. So haften beide in
wenig natürlicher Weise zusammen. Zwar sind die Falten
des Kopftuches an den richtigen Stellen angebracht, doch
wirken sie durch ihre allzu starke Markierung störend.
Das Antlitz der Maria entbehrt des inneren Lebens. Unge-
zwungener erscheint der Jesusknabe, wenngleich sein
Körper in der Durchbildung etwas steif geraten ist.

— 14 —
 
Annotationen