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Eberlein, Kurt Karl
Theaterkunst und Kunstwissenschaft — [o.O.], 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.43347#0006
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angestrebt und theoretisch wie praktisch von den Theaterarchitekten aus tausend
Gründen vergeblich und zwitterig kopiert wurde, das können wir hier leider nicht
erörtern.
Keine Epoche ist für den Zusammenhang zwischen Theaterkunst und bildender
Kunst bisher so gut erforscht worden wie die des frühen und späten Mittelalters
bis zur Renaissance. Hand in Hand mit der Literaturwissenschaft hat die Kunst-
wissenschaft des 19. Jahrhunderts hier ein Neuland erobert, das nun schon vor-
trefflich bebaut und bewohnt ist. Gerade diese Epoche beweist uns wieder, daß
der Kunsthistoriker ein Kenner der Liturgie, der christlichen Wort- und Bildlehre,
des Theaters und seiner Literatur sein muß, wenn er überhaupt über mittelalter-
liche Kunst arbeiten will.
Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, Herkunft, Entstehung, Wesen und Art
der geistlichen Schauspiele des Mittelalters zu erklären, die aus alten Liedern,
Spielen, Tänzen in den Oster- und Weihnachts-Tagen, aus Meßliturgie, Gebeten,
Hymnen, Meditationen zu liturgischem und halbliturgischem Drama, zum Kirchen-
volksspiel, zum Mysterien- und Passionsspiel erwachsen sind. Da es sich hier um
die Frage handelt, welchen Einfluß sie auf die Kunst hatten und welchen Einfluß
die Kunst auf sie, kann ich nur in großen Zügen das Wesentliche vortragen. Ich
beginne mit dem französischen Spiel, dessen Inszenierung uns Cohen überzeugend
erklärt hat. So leben das Oster-Krippen-Propheten-Dreikönig-Adam-Spiel und
die mimischen Mysterien durch die Jahrhunderte fort, ziehen vor die Kirche, auf
den Kirch- und Marktplatz in das Freilicht-Theater und in Paris schließlich in
Saal und Innenraum. Da das Spiel unter Aufsicht der Kirche in den Händen der
Geistlichen bleibt — mit Ausnahme der gemeinen Farcen — kann man sagen, daß
Theater und Kunst die gleichen Aufgaben und Stoffe und die gleichen Regisseure
haben, so daß der ikinographische Zusammenhang der christlichen Bildstoffe uns
nicht überraschen kann. Und doch werden wir sehen, daß sich vieles nur aus dem
Spiele erklären läßt. Da Hunderte von Malern als Theaterkünstler des 14., 15.,
16. Jahrhunderts nachweisbar sind, ist der Zusammenhang um so deutlicher. Diese
von Spielleitern (meneurs de jeu), Intendanten (superintendants) oft für Geschäft
und Gewinn, aber auch als Stiftung, als Stadt-Glauben-Ehren-Sache lange angekün-
digten und vorbereiteten Spiele, die der Regisseur (maistre du jeu) mit Spielrolle,
Stab und Sprecher bei schlechtem Gehalt und oft zu großem Defizit bei den ins Un-
glaubliche wachsenden Unkosten durch mehrere Tage vor Tausenden von Zuschauern
leitete, gingen schließlich in die Hände der Spielgesellschaften, der confreries oder
puys über und wurden von reisenden Mysterienschauspielern gespielt. Die zu-
weilen im Halbkreis amphitheatralisch angeordneten Spielhäuschen oder Spiel-
gerüste (mansion, etablie, etage) die mit einem Vorbau (Feld, Boden, Park, Parkett)

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