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Eberlein, Kurt Karl
Theaterkunst und Kunstwissenschaft — [o.O.], 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.43347#0008
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Material, das allerdings in der Kunst besondere Spielzüge aufweist. Die Hebamme,
der Joseph mit Holz und Milch, die Hirten mit Geschenken, Musik und Tanz, die
Schäferinnen Mahault und Alison, die in dem Holzschnitt der „Heures de Simon
Vostre“ erschienen, das böse Weib Hedroit, das für Malchus die Laterne trägt
und an Stelle des Schmiedes die fehlenden Kreuznägel schmiedet — eine Szene,
die seit 1393 gespielt wird und von Fouquet in den Chantilly-Miniaturen köstlich
gemalt wurde — die Zimmerleute, die das Kreuz herrichten (Memling-Bild in
Turin) die kniende Veronika mit dem Schweißtuch (Fouquet), die Kreuzabnahme
mit Leitern und Gurten, der Schritt Christi aus dem Grabe, die erwachten und
erschreckt fallenden Grabwächter, das Hochziehen des himmelfahrenden Christus,
von dem nur die Füße zu sehen sind, die Kirchenkleidung der Engel, das Kaiser-
und Papstgewand Gottvaters (van Eyck), die in den Kirchenfenstern des 15. und
16. Jahrhunderts auffallende Vergoldung des Gesichts und der Hände des Ver-
klärten, die Luxuskleider der Propheten und die kostbare Michaelrüstung, dies
alles ist im Spiele nachweisbar und in der Kunst nicht eben selbstverständlich.
Ebenso erscheinen der Betstuhl der Madonna, das baldachinartige Stalldach, die
Kerze in Josephs Hand, der schlafende Petrus mit dem Schwert, die Laterne des
Malchus, die Predigt des Johannes über einem Ast, Himmelsöffnung und Him-
melstor, die Grablöcher und die ganze Darstellung des Paradieses z. B. bei Fouquet
so genau übereinstimmend mit den theatralischen Angaben, daß eine Wechsel-
wirkung zwischen Spiel- und Bildikonographie angenommen werden darf. Male
glaubt in den „livres d’heures“ und in den französischen Kirchenfenstern die besten
Quellen für die Spiele der confreries, ihre Patronlegenden und Prozessionen zu
sehen, weil diese confreries die Stifter solcher Fenster waren, und erklärt auch
den berühmten Mosesbrunnen des Claus Sluter in der Chartreuse von Dijon aus
einem Passionsspiel, denn die Propheten tragen Theaterkostüme, Moses die rote
Spieltunika und die Schriftbänder zeigen die Worte einer bekannten „Moralität“.
Males Gegner Puyvelde hat für die Niederlande wichtige Ergebnisse gebracht
und nachgewiesen, daß die neue Spielikonographie nicht aus Frankreich zu stam-
men braucht, sondern daß sie sich international mit dem religiösen Spiel entwickelt
und teilweise allerdings die Kunst beeinflußt, die auch in den Niederlanden Maler
als „Tooneelspelers“ aufweist. Wie im Spiel, so wird auch in der Malerei das
Christkind erst auf dem Altar, dann im Arm der Mutter, dann auf dem Boden
liegend angebetet (van der Goes, Florenz), die scheuen, frommen Hirten, wie sie
van der Goes schildert, erscheinen zuerst im Spiel. Die Darbringung des Kindes,
das erst Maria, dann der Priester hält, die Auferweckung des Lazarus, die Hoheit
der Schergen und Soldaten, die Wandlung vom steifen, diagonal gehaltenen zum
langgebetteten Christus, der den Kopf im Schoß der Maria, die Füße in dem der

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