Magdalena hat, die Werbung und Verlobung des Joseph und andere Bildstoffe
spiegeln den Spielrealismus der Mysterienbühne. Nur wenn man die niederlän-
dischen Spiele und die naturnahen Inszenierungen genau kennt, versteht man den
anschaulichen Realismus der altniederländischen Malerei in seinen theatralischen
Elementen. So läßt sich der Himmelsbalkon über dem Tor mit dem Vorbalkon
der Engel mit Thron und Vorhang (Memling in Danzig, Weyden in Beaune) das
gemalte Paradies mit echten Blumen und Tieren, die Fontäne, die Leinenwolken,
der Regenbogensitz, die Häuschen ohne Vorderwand, die Szenen im Kirchenportal
oder an der Längsmauer (Weyden in Antwerpen), das Öffnen und Zuziehen der
Vorhänge (Goes in Berlin, Cornelis in Brügge), Josephs Kerze mit der schützenden
Hand, die auf der Tagbühne die Nacht andeuteten, der oft fehlende Lichtschein
Gottes, die Alben, Dalmatiken und Chorkappen der Engel, der alte glatzköpfige
komische Joseph mit Stock oder Zimmermannsgerät, der Schlangenteufel mit dem
Frauengesicht und die „sich schämenden“ nackten Adam und Eva (Eyck, Weyden,
Memling, Goes), dies und vieles andere aus den niederländischen Spielen in der
Malerei nachweisen. Wenn auch das Theater mehr Freiheit hatte als die Altar-
maler, so hat das Theater die Ikonographie doch nicht geschaffen, denn die Theo-
logie war zu mächtig und die Schriften wirkten noch immer stark ein. Wir wissen,
daß die Bildvorschriften der Malaufträge sehr streng waren, wie z. B. der nach-
weisbare Auftrag für das Abendmahl des Bouts. Aber die suggestive Kraft der
Schauspiele und Spielbilder war stark, als der realistische Geist und seine Technik
herangereift waren. Deshalb wirken auch die Einzelheiten der Bühne, Dekoration,
Kostüme, Gebärden, Motive, modellartig auf die Kunst. Da zudem der Künstler
Mitarbeiter, Mitspieler und Dekorateur der Bühne ist, wirkt sein eigener Einfluß
aus dem Bühnenbild auf ihn zurück, und es ist lächerlich, zu bestreiten, daß
manche Kunstwerke ohne diese Spiele undenkbar wären. Die Beweise sind leicht
zu erbringen, wenn man genau Spieltext, Spiel und Kunstwerk miteinander ver-
gleicht, wenn man einzelne Spieltypen und Figurinen genau in alle Einzelheiten
erforscht und dann mit der bildenden Kunst in Übereinstimmung findet. Solche
Arbeiten haben wir z. B. für Kirche und Synagoge (Weber), für den Teufel (Rud-
win), den Engel (Heinze), Die Heiligen Drei Könige (Kehrer) u. a. Alle geschwät-
zigen Vermutungen versinken vor solchen Gegenproben. Webers Arbeit über die
Spiel- und Kunstfiguren der Kirche und Synagoge gab uns, auf Mone, Meyer,
Durand, Springer, Kraus fußend, neue Einblicke in das geistliche Schauspiel des
deutschen Mittelalters. Schon Durand hatte den Zusammenhang des Portal-
schmuckes und des Schauspiels betont. Weber zeigte nun, wie aus dem Propheten-
spiel das Streitgespräch oder Altercatiospiel der siegreichen Kirche und der be-
siegten Synagoge erwächst und als Träger des Antisemitismus seit dem 11. Jahr-
167
spiegeln den Spielrealismus der Mysterienbühne. Nur wenn man die niederlän-
dischen Spiele und die naturnahen Inszenierungen genau kennt, versteht man den
anschaulichen Realismus der altniederländischen Malerei in seinen theatralischen
Elementen. So läßt sich der Himmelsbalkon über dem Tor mit dem Vorbalkon
der Engel mit Thron und Vorhang (Memling in Danzig, Weyden in Beaune) das
gemalte Paradies mit echten Blumen und Tieren, die Fontäne, die Leinenwolken,
der Regenbogensitz, die Häuschen ohne Vorderwand, die Szenen im Kirchenportal
oder an der Längsmauer (Weyden in Antwerpen), das Öffnen und Zuziehen der
Vorhänge (Goes in Berlin, Cornelis in Brügge), Josephs Kerze mit der schützenden
Hand, die auf der Tagbühne die Nacht andeuteten, der oft fehlende Lichtschein
Gottes, die Alben, Dalmatiken und Chorkappen der Engel, der alte glatzköpfige
komische Joseph mit Stock oder Zimmermannsgerät, der Schlangenteufel mit dem
Frauengesicht und die „sich schämenden“ nackten Adam und Eva (Eyck, Weyden,
Memling, Goes), dies und vieles andere aus den niederländischen Spielen in der
Malerei nachweisen. Wenn auch das Theater mehr Freiheit hatte als die Altar-
maler, so hat das Theater die Ikonographie doch nicht geschaffen, denn die Theo-
logie war zu mächtig und die Schriften wirkten noch immer stark ein. Wir wissen,
daß die Bildvorschriften der Malaufträge sehr streng waren, wie z. B. der nach-
weisbare Auftrag für das Abendmahl des Bouts. Aber die suggestive Kraft der
Schauspiele und Spielbilder war stark, als der realistische Geist und seine Technik
herangereift waren. Deshalb wirken auch die Einzelheiten der Bühne, Dekoration,
Kostüme, Gebärden, Motive, modellartig auf die Kunst. Da zudem der Künstler
Mitarbeiter, Mitspieler und Dekorateur der Bühne ist, wirkt sein eigener Einfluß
aus dem Bühnenbild auf ihn zurück, und es ist lächerlich, zu bestreiten, daß
manche Kunstwerke ohne diese Spiele undenkbar wären. Die Beweise sind leicht
zu erbringen, wenn man genau Spieltext, Spiel und Kunstwerk miteinander ver-
gleicht, wenn man einzelne Spieltypen und Figurinen genau in alle Einzelheiten
erforscht und dann mit der bildenden Kunst in Übereinstimmung findet. Solche
Arbeiten haben wir z. B. für Kirche und Synagoge (Weber), für den Teufel (Rud-
win), den Engel (Heinze), Die Heiligen Drei Könige (Kehrer) u. a. Alle geschwät-
zigen Vermutungen versinken vor solchen Gegenproben. Webers Arbeit über die
Spiel- und Kunstfiguren der Kirche und Synagoge gab uns, auf Mone, Meyer,
Durand, Springer, Kraus fußend, neue Einblicke in das geistliche Schauspiel des
deutschen Mittelalters. Schon Durand hatte den Zusammenhang des Portal-
schmuckes und des Schauspiels betont. Weber zeigte nun, wie aus dem Propheten-
spiel das Streitgespräch oder Altercatiospiel der siegreichen Kirche und der be-
siegten Synagoge erwächst und als Träger des Antisemitismus seit dem 11. Jahr-
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