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VORWORT.

V

und Plätzen in den Dörfern und Städten den Zauber ihres ihnen ureigenen, auf dem Boden des
Orients erwachfenen Stils, dringt in die Häufer und fetzt an die Stelle der alten üppigen Einthcilung
des Raumes die fparfame und nüchterne Benutzung deffelben; fie entkleidet die Männer der ftattlichen
Pracht der Gewänder und des Waffenfchmucks und macht die Frauen begierig nach dem wenig
kleidfamen Putze ihrer beneideten europäifchen Schweftern. Der Pfiff der Lokomotive, die Frucht-
land und Wüfte durchjagt, höhnt die geduldige Tragkraft der Kamele und die lenkfame Schnelligkeit
der arabifchen Roffe; der abendländifchen immer ähnlicher wird die Uniform und Ausrüftung
der Soldaten. Noch haben die Volksfefte ihren eigenthümlichen Charakter bewahrt, aber in
den grofsen Städten beginnt die europäifche Kutfche das Reitpferd zu verdrängen, und ägyptifche
Militärmufik fpielt Stücke von Richard Wagner und Verdi. In wohlhabenden arabifchen Häufern
verdrängen Sopha und Kommoden aus Europa die Divans und fchön gearbeiteten Truhen, und
man trinkt den Kaffee nicht mehr aus dem Fingän von reich eifelirtem Metall, fondern aus
Taffen von deutfehem Porzellan. Alle Eigenthümlichkeiten des Orients, die grofsen wie die
kleinen, werden verdrängt und erblaffen mehr und mehr, und es droht ihnen die Gefahr, im
Laufe der Jahre gänzlich zu verfchwinden.

Noch ift deren keine bis auf die letzte Spur verwifcht, noch findet das Auge des Künftlers
in Stadt und Dorf, in Strafsen und Häufern, unter freiem Himmel und im Zelte, unter den
Grofsen, den Bürgern, den Bauern und Wüftenföhnen, bei den der Freude und der Trauer
geweihten Feften, bei der Arbeit und Mulse der Nilthalbewohner die alten, bunten, malerifchen,
anziehenden, eigenthümlich fchönen Formen, noch haben fich herrliche Refte dreier grofser
Kunftepochcn, der altägyptifchen, griechifchen und arabifchen, in Aegypten erhalten. Diefen
letzteren ift ein längerer Beftand gefiebert; von der Eigenthümlichkeit des orientalifchen Lebens
aber wird vieles des Reizvollften verfchwunden fein, che ein Jahrzehent, Manches fchon ehe ein
Luftrum dahin ging; Alles vielleicht, wenn das neue Jahrhundert beginnt.

Darum unterzog lieh der Schreiber diefer Zeilen, der das morgcnländifchc Aegypten liebt
und kennt, mit Freuden der Aufgabe, Alles was fchön und ehrwürdig, was malerifch wirkfam,
was eigenthümlich und anziehend erfcheint im alten und neuen Aegypten, zufammenzuführen für
die Genoffen unferer Zeit und der kommenden Tage zur Belehrung und Freude.

Ja, zu ihrer Freude! denn die Bilder, welche es ihm in diefen Blättern mit erklärenden
Worten zu begleiten obliegt, find unübertroffen in ihrer Art. Unfere gröfsten Künftler und tiefften
Kenner alles deffen, was der Orient Malerifches bietet, haben fie uns überlaffen, und wir zeigen
Aegypten in diefen Blättern nicht nur wie es ift und wie es fich auf der Platte des Photographen
darfteilt, fondern fo, wie es fich in der Seele des Künftlers abfpiegelt.

Bei der Behandlung der von den Kairenern gefeierten Fefte und der Märchen, die fie
erzählen, hat uns der Bibliothekar des Chediw, Dr. Spitta aus Hildesheim, mit werthvollen

Ebers. Aegypten. I.
 
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