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DAS NEUE ALEXANDRIA.

Bettelhaft und elend war die Bevölkerung, die Mangel litt an Allem, felbft an dem nöthigen
Waffer, wenn nicht der Nil in der Ueberfchwemmungszeit den ihn mit der Stadt verbindenden
Graben reichlich fpeiste. Die Häufer waren niedrig und unfeheinbar, auf dem Markte fah man
nichts als Datteln und runde, flache Brode, und in den Strafsen lagerten Schutt und Trümmer.
Das Geheul der Schakale und der Nachteule Schrei Hörte den Schlaf der Nächte und auf den
vernachläffigten Feftungsvcrkcn fand man nicht vier Kanonen im richtigen Stand. Siech und
elend verkam die lebensvolle und reiche Gründung Alexander's, als diefes Jahrhundert begann;
gefund und frifch gedeihend, eine mehr und mehr genefende Kranke betritt Ire lein letztes Viertel.
Sehen wir zu, wie es kam, dafs der kräftige Baum feine Blüten verlor, und wie ein neuer Frühling
ihn mit neuen Blüten fchmückte.

Schon im erften Jahrhundert nach der Geburt des Heilandes fand das Chriftenthum im
Nilthal und Alexandria fchnelle Verbreitung. Man glaubt, der Evangelift Marcus felbft habe dort
die neue Lehre verkündet und die Acgypter waren beffer auf fie vorbereitet als irgend ein anderes

Volk des Alterthums; denn feit Jahrtaufenden waren lie gewöhnt,
den letzten Dingen ihre Aufmcrkfamkeit zu fchenken, die Erde für
eine Herberge und das Jenfeits für das wahre Heim des Menfchen
anzufehen. Die Eingeweihten unter den Prieftern kannten den einen
Gott, den lie dem Volke unter vielen Namen und Gcftalten zeigten.
Den Kreislauf des Lebens brachten fie in einer fehönen Mythe zur
Anfchauung, deren Held über Tod, Finftcrnifs und Sünde triumphirt.
Die Bilder der Iiis mit dem Florusknäblein am Bufen find die erften
Darftellungen einer Mutter Gottes mit dem Kinde, und Bufsc und
Bufsübungen waren auch den Aegyptern nicht fremd. Selbft in Ale-
xandria gehörten zu dem Serapistempcl cinfame Zellen, in denen fich
weltmüde Fromme abfchloffcn von dem Treiben des Lebens, und
ein römifchcr Satiriker verfpottet die frommen Damen unter den
Ifisanbctern, die von den Prieftern jede Bufse, felbft Flufsbäder mitten
im Winter, über lieh verhängen laffen, und das zur Strafe für vergnüg-
liche Sünden. Diefe Bufsfertigkeit, die dem heidniiehen Römer
befremdlich erfchien, gewann dem Chriftenthum am Nil viele Jünger.
Auch unter der zahlreichen israelitifehen Gemeinde der Stadt fand es fchnelle Verbreitung; denn
der ftarre Theismus des Judenthums war in Alexandria erweicht worden durch die religions-
philofophifchen Beftrcbungen, denen fich hier die griechiieh gebildeten, gricchifch fprechenden
und fchreibenden geiftigen Führer der jüdifchen Gemeinde hingegeben hatten. Die Religion
des Morgenlandes feierte hier mit der abendländifchen Philofophie ihre Vermählung. Mit offenen
Armen ward die neue Fleilslehre aus Paläftina am Nil empfangen, und die flüffigen Ueberlieferungen
wurden in Alexandria, der Stadt der philofophifch gefchulten Denker und methodifchen Interpreten,
in Formen gegoffen und mit Begründungen verfehen, die fie auch dem Abendlande lockend und
fchwer widerlegbar erfcheinen lielsen.

In Paläftina ward das Chriftenthum geboren, in Alexandria ift es erzogen worden.
Flier ift nicht der Platz, von den Kämpfen zu erzählen, die die alexandrinifchc Chriften-
gemeindc gegen die heidnifchen Gewalthaber zu beliehen hatte. Jene Tage der Verfolgungen
werden die Epoche der Märtyrer genannt, und viele der edelften Blutzeugen der katholifchen
Kirche wurden in Alexandria auf den Richtplatz geführt; nachdem aber die chriftliche zur Staats-

ISIS MIT HORUS.
 
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