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L34

MEMPHIS. DIE PYRAMIDEN.

Die Refidenzftadt mit ihrer ftolzen Citadelle da drüben ift ein Emporkömmling, der fchnell
zu grofsem Belitz gelangte durch den Sturz eines ehrwürdigen Vorgängers. Memphis ging unter,
und aus feinen Trümmern erwuchs Kairo. Diefer Satz ift wörtlich zu fallen, denn einestheils
fiedelten, fobald der neue durch Amr, den Feldherrn des Omar, am jenfeitigen Stromesufer
gegründete Ort lieh fchnell vergröfserte, die Bürger der alten Pharaonenrcfidenz zu ihm über,
anderntheils aber trug man die alten memphitifchen Prachtbauten ab, führte die fchön geglätteten
Werkftücke und fteinernen Balken über den Nil und benutzte fie zur Fundamentirung neuer
Gebäude oder zum Aufbau von kräftigen Quadermauern. Monumente von Marmor und Alabafter
wurden zerfchlagen und in Kalköfen verbrannt. Auch manche Säule in den älteren kairener
Mofcheen flammt aus memphitifchen Tempeln. Der alte Ort war ein Steinbruch mit fertigen
Werkftücken, und man fchonte ihn nicht, ja man beutete ihn fo rückfichtslos aus, dafs heute
von der älteften und gröfsten Stadt in Aegypten nichts und gar nichts übrig geblieben ift, als
einige Schutthügel und mehr oder weniger fchwer befchädigte Monumentalftücke.

Die Strafsen und Plätze, die Paläfte und Tempel, die Schulen und Feftungswerke, in denen
die vielen Hunderttaufende der Memphiten gelebt und gewebt, gearbeitet und gebetet, gelitten
und gejubelt, gehandelt und gedacht, lieh des Friedens gefreut und blutig gekämpft haben, lind
von der Erde verlchwunden. Memphis, die Stadt der Lebenden, ift nicht mehr; die Stadt der
Todtcn, die Nekropole von Memphis, aber hat fich, als dürfte fie Theil nehmen an der Unver-
gänglichkeit der in Ofiris ruhenden Seelen ihrer Bewohner, in wunderbarer Weife erhalten. Wenn
irgendwo, fo ift hier die rechte Stelle, an jene Schlagworte zu erinnern, durch welche die Griechen
die Sinnesart der Aegypter zu charakterifiren vernichten. Sie follen ihre Wohnungen Herbergen,
ihre Gräber aber ewige Häufer, das Erdenwallen eine kurze Wanderung, den Tod das wahre
Leben genannt haben. Und in der That überdauerten ihre Friedhöfe ihre Städte, find es ihre
Grüfte, welche ihr Leben bis auf uns ausgedehnt haben.

Es gibt keine ehrwürdigere Stätte der menlchlichen Kultur, als diejenige, welche wir heute
zu befuchen gedenken, es gibt keine älteren Denkmäler, als die hier gefundenen. Wer fonft die
Pyramiden befucht, wendet lieh fogleich der Nekropole zu. Wir gehen untere eigenen Wege
und wollen die Stadt der Lebendigen kennen lernen, ehe wir die der Todten betreten. Uns
bindet keine Rückficht' auf Zeit und Bequemlichkeit, und fo vertrauen wir uns lieber einem
Nilboote, als der auch das Gebiet von Memphis durchfehneidenden Eifenbahn an und landen bei
Bedrafchen, einem grofsen Fellachendorfe. Die Palmenwälder, die es rings umgeben, gehören zu
den fchönften in Aegypten, und wie feilten fie nicht prächtig gedeihen, wurzeln fie doch in einem
Boden, auf dem wohl vier Jahrtaufende lang eine der volkreichften Städte der Welt geftanden.

Es reitet fich köftlich auf dem diefe Haine durchfehneidenden Dammwege; denn niemals
ift es ganz fonnig und nie ganz fchattig unter den Kronen der Palmen, und der unaufhörliche
Wechfel der Lichtwirkungen bewahrt uns vor dem Gefühle der Eintönigkeit. Und doch fehen
die einzelnen Bäume diefer Wälder mit ihren Säulenftämmen und befiederten Spitzen einander
fo ähnlich! Wenn auch nach einem fchönen, fo fcheinen fie doch alle nach einem Mufter
geformt zu fein, und weit entfernt find fie von der individuellen Verfchiedenheit unferer Eichen
und Buchen.

An dem kleinen Hafen des Dorfes Bedrafchen liegen grofse Bündel von ihres Fcder-
fchmuckes beraubten Rippen aus ihren Kronen, und einen feltfamen Anblick gewährt es, wenn
die Fellachen die glatten Stämme erklettern und fich an ihre Spitze feftbinden, um die Zweige
abzufchlagen, die Blüten künftlich zu befruchten und die Datteltrauben zu brechen.
 
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