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GOSEN.

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und dem Leben bei mir, und fo kam es, dafs wir Drei die halbe Nacht verplauderten, und
man mir wie einem Bruder Lebewohl fagte, als ich meinen ftattlichen Fuchs vorführen liefs,
um mitten durch Gofen nach Zoan (heute San) zu reiten, der Stadt, in welcher Mofe feine
Wunder verrichtete vor Pharao.

Der erfte Theil meines Weges führte durch wohlbeftclltcs, von Kanälen durchfchnittenes
Ackerland, das Geh nur wenig von demjenigen unterfcheidet, dem wir bei unferer Fahrt nach
Roiette begegnet find. Bei einigen Baucrnhäufern fand ich Obftgärten in voller Blüte, und
zwifchen den Palmen erinnerte mancher europäifche Baum und Strauch und der ägyptifchc Weizen
mit leinen ichweren Aehren an die Heimat. Endlich hörten die Aecker auf, und ich betrat den
dürren, hie und da mit Salzausfchwitzungen wie mit einer
dünnen Eisfchicht bedeckten Boden der Wüfte. Bald umfing mich
von allen Seiten die Einöde, und hier war es, wo ich zum erften
Mal den wunderbaren Zauber der Wüfteneinfamkeit, aber auch
jene leltiame Erregung empfand, die fich hier fo leicht der Phan-
tafie des Wanderers bemächtigt, und die fich befonders wirkfam
erweist in der Einbildungskraft der Araber, die die leblofe Wüfte
mit einer Welt von wunderbaren Phantafiegebilden bevölkert. Hier
haust die gefammte Geifterwelt, hier tummeln fich die Ginnen
und Ghulen, die die Luft durcheilen auf feltfamen Reitthieren:
Heufchrecken, Igeln und Spinnen. Auch der Frömmfte darf an
fie glauben, denn felbft der Prophet berückfichtigte fie, und viele
von ihnen nahmen den Islam an; andere find bösartig, bedrängen
die Menfchen, und der Teufel ift ihr Regent. Bis zum Himmel
wagen die Ginnen fich vor, um feine Geheimniffe zu erfpähen;
aber die Engel halten Wacht, und die Sternfehnuppen, die der
Wüftenwanderer in Hillen Nächten fallen fleht, find glühende
Pfeile, welche die übermüthigen Geifter niederftrecken.

Durchwanderft Du die fchweigende Wüfte, fo trifft wohl
zur Zeit der Gebetsftunden ein lauter, langgezogener Ruf Dein
Gehör. Dein Auge vermag nichts Lebendes zu erfpähen, aber
deutlicher und deutlicher werden die Töne, die Du vernommen.
Ein leifer Schauder erfafst Dich, Du iprengft den Hügel hinan,
der den Horizont vor Dir abfchlofs, und nun fiehft Du, von feinen
bunten Schafen umgeben, einen einfamen Hirten, der, fo laut er

nur immer vermag, fein Gebet in die Luft ruft. Die Geifter follen den Einfamen hören, um
am Tage des Gerichts Zeugnifs für ihn abzulegen. Gibt es etwas Gefpenftifcheres als arabifche
Wanderer, die auf ihren Kamelen, in helle Gewänder gehüllt, lautlos und von Geiern begleitet,
in der Dämmcrftunde auf den fchweigenden Pfaden der Wüfte dahinziehen? Wenn der Mond
aufgeht und fich feine Strahlen in den Marienglasftückchen an der Hügelwand fpiegeln, dann
verwandeln fich die Ghulen in flackernde Lichter, und die Ginnen in Menfchengeftalt erfcheinen
fchwebend über der Erde, oder lautlos wandelnd oder auf ichwarzen Rolfen mit fchwarzen
Gelichtern und Krallen wie der Stahl der Senfen.

Das find die Schauer der Wüfte, die doch auch fo reich ift an unbefchreiblichen Reizen,
welche ich an einer andern Stelle dem Leier zu fchildern gedenke. Hier ift der Ritt durch die

AEGYPTISCHER WEIZEN.

TRITICUM SATIVUM.

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