268
THEBEN.
Bibel die Amonsftadt und Homer das Hundertthorige nennt. Wohl deuten heute noch flattliche
Tempeltrümmer und zahllofe reich ausgeftattete Grüfte auf feine alte Herrlichkeit, aber von den
Wohnhäufern feiner Bürger und den Schlöffern feiner Fürften blieb keines erhalten, und wenn
wir einen der Bewohner diefer Stätte fragen, wo Theben liegt, fo wird er uns die Antwort
fchuldig bleiben, denn er kennt nur Abd el-Kurna, Medinct-Habu, Karnak, Lukfor und wie fonft
die Fellahdörfer heifsen, welche
in der Nähe der vorzüglichften
Trümmergruppen und zum Theil
mitten unter ihnen entftanden
find.
Vom Thore unferes Grabes,
einem der erleienften Ausfkhts-
punkte der an fchönen Fernfichten
reichen Weftberge der Amons-
ftadt, aus überblicken wir die
gefammte Ebene von Theben,
und zwar fowohl das linke Ufer
des Stroms, auf dem wir uns
befinden, als auch die jenieits
des Nils gelegene Landfchaft.
Auf der Sohle des lang hinge-
ftreckten Thaies grünen, fo weit
die Ueberfchwemmung reicht,
fruchtbare, gut bewäfferte und
fauber in Beete tretheilte Felder,
fehen wir Palmen, einzeln und
zu Hainen gefeilt, und andere
Bäume prächtig gedeihen. Wie
ein faftiges Gericht in einer
Schüffel mit hohen Rändern,
wie eine Auftcr zwifchen ihren
Schalen, fo liegt diefs Fruchtland
zwifchen den dürren und nackten
Wüftenbergcn, die es im Offen
und Weiten begrenzen. Hier und
dort hebt fich das Gelb der Ein-
öde lo ichroff ab von dem Grün
der Felder, wie ein Fufsboden
von Marmor von dem in feiner Mitte ruhenden farbigen Teppich. Auf der Morgenfeite des
Thals bis hin zum Fufs der fchön gefchnittenen arabifchen Bergreihe erhob lieh einlt die Stadt
der Lebenden mit Gaffen, Strafsen und Plätzen, Königsfchlöffern und Tempeln. Von dielen allen
blieb nichts erhalten als die letzteren, und zwar mehr füdlich der nach dem in ihn eingebauten
Flecken Lukfor benannte Tempel, mehr nördlich das grofse Reichsheiligthum, welches heute den
Namen des ihm benachbarten elenden Dorfes Karnak trägt, und deffen ungeheure Gebäudemaffe
MOHAMMED. EIN KNABE AUS ABD EL-KURNA.
THEBEN.
Bibel die Amonsftadt und Homer das Hundertthorige nennt. Wohl deuten heute noch flattliche
Tempeltrümmer und zahllofe reich ausgeftattete Grüfte auf feine alte Herrlichkeit, aber von den
Wohnhäufern feiner Bürger und den Schlöffern feiner Fürften blieb keines erhalten, und wenn
wir einen der Bewohner diefer Stätte fragen, wo Theben liegt, fo wird er uns die Antwort
fchuldig bleiben, denn er kennt nur Abd el-Kurna, Medinct-Habu, Karnak, Lukfor und wie fonft
die Fellahdörfer heifsen, welche
in der Nähe der vorzüglichften
Trümmergruppen und zum Theil
mitten unter ihnen entftanden
find.
Vom Thore unferes Grabes,
einem der erleienften Ausfkhts-
punkte der an fchönen Fernfichten
reichen Weftberge der Amons-
ftadt, aus überblicken wir die
gefammte Ebene von Theben,
und zwar fowohl das linke Ufer
des Stroms, auf dem wir uns
befinden, als auch die jenieits
des Nils gelegene Landfchaft.
Auf der Sohle des lang hinge-
ftreckten Thaies grünen, fo weit
die Ueberfchwemmung reicht,
fruchtbare, gut bewäfferte und
fauber in Beete tretheilte Felder,
fehen wir Palmen, einzeln und
zu Hainen gefeilt, und andere
Bäume prächtig gedeihen. Wie
ein faftiges Gericht in einer
Schüffel mit hohen Rändern,
wie eine Auftcr zwifchen ihren
Schalen, fo liegt diefs Fruchtland
zwifchen den dürren und nackten
Wüftenbergcn, die es im Offen
und Weiten begrenzen. Hier und
dort hebt fich das Gelb der Ein-
öde lo ichroff ab von dem Grün
der Felder, wie ein Fufsboden
von Marmor von dem in feiner Mitte ruhenden farbigen Teppich. Auf der Morgenfeite des
Thals bis hin zum Fufs der fchön gefchnittenen arabifchen Bergreihe erhob lieh einlt die Stadt
der Lebenden mit Gaffen, Strafsen und Plätzen, Königsfchlöffern und Tempeln. Von dielen allen
blieb nichts erhalten als die letzteren, und zwar mehr füdlich der nach dem in ihn eingebauten
Flecken Lukfor benannte Tempel, mehr nördlich das grofse Reichsheiligthum, welches heute den
Namen des ihm benachbarten elenden Dorfes Karnak trägt, und deffen ungeheure Gebäudemaffe
MOHAMMED. EIN KNABE AUS ABD EL-KURNA.