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THEBEN.

durch künftliche Wärme zum Auskriechen zu bringen; die Kinder wachfen heran ohne Erziehung
und Hemden, wie fie eben mögen und können.

Wenden wir uns nun mit einem Schritt vom Kleinften zum Gröfstcn, von dem Gerumpel
des heutigen Lukfor zu dem Riefenbau, welchen Amenophis III. in der Nekropole am jenieitigcn
Nilufer als Memnonium für lieh und feine Mutter und Gattin herftellcn liefs. Die weiten Hallen
diefes Tempels find gänzlich zerftört, aber das, was von ihnen übrig blieb, zeigt fo ungeheure
Mafse, dais wir wohl berechtigt find zu glauben, diefs Memnonium habe alle anderen an Gröfse
weit überboten. Wo es geftanden, fchauen mancherlei Refte von Werkftücken und Bildfäulen aus
den Aeckern hervor, und etwa da, wo fich einft das Sanctuarium befunden haben mag, liegt ein
ungeheurer Stein mit fchön gefchnittenen grofsen Hieroglyphen am Boden, welche lehren, wie
reich und prächtig die innere Ausftattung diefes Memnoniums gewefen fein mufs, vor deffen längft
verfallenem Hauptthor die beiden ungeheuren Koloffe aufgeftellt worden waren, die zu den Wundern
der Welt gehörten, heute noch ihren alten Platz behaupten, und von denen die nördlichere
all' unferen Leiern unter dem Namen der klingenden Memnonsfäule bekannt ift. Welchen Anblick
mag das Bauwerk dargeboten haben, vor deffen Pforte diefe Riefen als regungslofe Wächter auf
würfelförmigen Thronen, an deren Seiten die Bilder der Mutter und Gattin Amenophis III. zu
fehen find, gefeffen haben. Ein jeder von ihnen ift 15 Meter 59 Centimeter hoch, und war noch
weit höher, ehe ihm die mächtige Krone der Pharaonen vom Haupte fiel. Die Schulterbreite eines
folchen Koloffes beträgt 6 M. 17 Cm., die Länge eines Fufscs 3 M. 20 Cm., und man hat
berechnet, dafs fich fein Gewicht auf 1,305,992 Kilogramm belaufe. Die nördlichere Statue ift
die berühmtere von beiden, die «klingende Memnonsfäule», deren Befuch den in der Kaiferzeit
Acgypten bereuenden Römern und Griechen ebenfo unerläfslich erfchien, wie der des grofsen
Sphinx und der Pyramiden. Im Jahre 27 v. Chr. fiel bei einem Erdbeben der obere Theil diefes
Koloffes zu Boden, und von nun an bis Septimius Severus foll er am Morgen kurz nach Sonnen-
aufgang einen Klang von fich gegeben haben, über deffen Natur wir im Unklaren find, denn
nüchterne Reifende wie Strabo, der auch an die Möglichkeit eines Betruges denkt, nennen ihn
ein «Geräufch», Andere einen Ton und die empfänglichften Seelen fogar einen Gefang. An den
ägyptifchen Namen «mennu» anknüpfend, erklärten die Griechen den tönenden Stein für eine Bild-
fäule des homerifchen Helden Memnon, des Sohnes des Tithon und der Eos (Morgenröthe), des
Bundesgenoffen der Trojaner, der, nachdem er des Neftor Sohn Antilochus getödtet hatte, dem
rächenden Arm des Achilleus erlag. Sobald nun die rofenfingerige Morgenröthe fich in Theben
zeigt, erzählten die Hellenen, benetze fie die Bildfäule ihres Sohnes mit ihren Thränen, dem Thau
der Frühe, und Memnon begrüfse dann dankbar die Mutter mit leilem Gefang. — Der Thron,
die Beine und der Sockel des Koloffes, den zur Zeit der Ueberfchwemmung die Flut des Nils
benetzt, find voll von griechifchen Infchriften in gebundener und ungebundener Rede, welche die
Namen der Befucher der Bildfäule, an wen man ihr gegenüber gedacht und ob und wie man ihr
Tönen vernommen habe, mittheilen. Die ältefte flammt aus dem eilten Jahre des Nero, die längfte
verfafste die den Kaifer Hadrian und feine Gattin Sabina nach Theben begleitende Hofpoetin
Balbilla und die fchönfte dichtete der kaiferliche Prokurator Alklepiodotus. Diefe letztere ver-
deutfehen wir alfo:

«Meergeborne Thetis 'wifle, Memnon brauchte nicht zu Herben.
Wenn die mütterlichen Strahlen ihn mit heifsem Glänze färben,
So ertönt fein lautes Rufen, wo fich Libyens Berge heben,
Die der Nilftrom, Ufer netzend, trennt vom hundertthor'gen Theben.
 
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