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Einstein, Carl
Propyläen-Kunstgeschichte (Band 16): Die Kunst des 20. Jahrhunderts — Berlin, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.42190#0197
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Grunde nur geschmackvoll dienerisches Arrangement bedeutet. Meier feierte
sich in sämtlichen Apollen. Solche Sujetmalerei war Wiederholung des Gleichen,
und reaktionär wahrte man Besitz; das wiederholte Motiv hemmte jegliche
Freiheit, und somit war es richtig, jenes zu zertrümmern, um neuen Gestalten
und Vorstellungen die Wege zu öffnen.
Diese Suprematisten und Konstruktivisten betrachteten, doch längst hatten
dies andere getan, die Form nicht mehr als Mittel motivischer Anordnung,
man versuchte den konstruierenden Prozeß zu fassen, worein man eine gemäße
Formgestalt baut. Jedoch diese Russen waren deduktiv bestimmt, genau wie
die alten Metaphysiker. Man hatte den Fetisch Objekt ausgetrieben, doch
die seelische Gestimmtheit, nämlich die alte Rechtsgläubigkeit, war geblieben;
diese Bilder sind Reste einer alten Metaphysik.
Das Motiv mindert die Schöpfung zur Erinnerung, und die ungebundene
Produktion wird von einer rückständigen Besitzpsychose verdrängt. Diese
Russen hatten das Bild gänzlich purgiert, und hier steckt etwa ein Verdienst.
Doch gelang es ihnen nicht, in das tätige Stadium der Gestaltbildung vor-
zudringen. Man blieb asketisch fern von den Dingen und versuchte in der
Konstruktion etwas zu finden, was den neuen Kollektivtypen entsprach. Man
zerschlug mit Recht die Dinge, diese rückständig versteinerten Übereinkünfte.
Man vermied ein beschreibendes Wiederholen, dessen Kern Besitzfetischismus
bedeutet. Man schätzt die Bilder als vorausberechnete Typenprodukte und ist
von dem fragwürdigen Zauber der Technik bezwungen, die das Kollektivstück
hervorbringt und Ausdruck der Masse ist, die des Typischen bedarf. Darum
vernichtet man das individualisierte Besitzsujet und ent eignete die Malerei
vom Motiv. Der Gegenstand war im Feuer der Kritik und der ehrlichen Armut
verbrannt. Endlich waren die Objekte zerfallen, die Diktatur der sachlosen
Armen konnte beginnen.
Man entlieh aus kubistischen Beständen und Kandinsky Material. Aller-
dings, dieser wurde dann wiederum von den Konstruktivisten beeinflußt. Rie-
mann wurde gelesen, und nüchtern berauscht folgte man amerikanischen
Ingenieuren und Architekten. Wieder herrscht das Gesetz der byzantinischen
Fläche, wogegen Tatlin sich im raumgreifenden Kontrerelief wehrte. (Folge-
rungen des Cezanneschen Volumens und der kubistischen Sichtkontraste.)
Man klammerte sich marxistisch gestimmt an die Typen der architektonischen
Nutzformen. Lissitzky notierte witzig das Drama der Quadrate (Abb. 507), im
Grunde betrieb man Architekturersatz, zumal die vorige russische Malerei
zu schwach gewesen war, als daß ein Kampf gegen diese sich verlohnt hätte.
Eine solche Malerei konnte sich kaum innerhalb der russischen Revolution
behaupten, da man in Rußland den Sinn für das Wirkliche ungemein ge-
steigert hatte.
 
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