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DER

BLAUE

REITER

Um 1911 schlossen sich Marc (geboren 1880, 1916 im Krieg gefallen), Kan-
dinsky und Klee zu einer Gemeinschaft, dem ,,blauen Reiter", zusammen. Sinn
und Wille dieser Gruppe wurden 1912 im Sammelband des gleichen Namens
wirksam mitgeteilt.
Diese Gruppe, diesmal kein Verein, sondern eine geistige Gemeinschaft, er-
scheint mir als Mitte der neueren deutschen Kunstgeschichte.
Hier wurde anderes erprobt und gefunden als eine Variante des malerischen
Handwerks. Es entscheidet, daß es diesen Leuten um Wichtigeres als nur um
Malerei ging, nämlich um eine Umbildung der seelischen Struktur. Diese Be-
wegung schließt sich mit dem Ablauf der großen europäischen Malerei durchaus
zusammen. Endlich stellen die Deutschen das Problem der autonomen Malerei
und der frei entwickelten, hailuzinativen Prozesse.
Es geht hier zunächst nicht um eine Kritik des einzelnen oder um die Aus-
wertung der Probleme durch einzelne, sondern: der „blaue Reiter" war eine
Gemeinschaft von Männern, die der deutschen Kunst ein durchaus neues Ziel
setzten und begriffen hatten, daß Malerei, wenn überhaupt sie Berechtigung
besitze, anderes und mehr sein muß als pures Handwerk und Geschicklichkeit
der Superaffen.
Nun war der Expressionismus, der mit feigem Zierat, überkommener Ordnung
und unzureichender Variante sich begnügt hatte, beendet. Was damals neben
dieser Gruppe an deutscher Malerei entstand, wirkt als altes, erschöpftes Hand-
werk. Gewiß traten später Reaktionen gegen den Geist des „blauen Reiters" auf,
darunter die bequeme Feigheit der antiquierten Sachlichkeit; ein Schlagwort
sollte den Mangel an Person und Einbildung verbergen. Solch objektives Sich-
gehaben war lediglich Reaktion und Rache des besitzbesessenen Kleinbürgers
gegen die eroberte innere Freiheit.
Rücksichtsloser als die anderen Deutschen versuchten Marc, Kan-
dinsky und Klee in die Bilder eine abgeänderte menschliche Haltung zu
tragen. Endlich faßte man den Mut, hemmende und verbrauchte Über-
einkünfte zu zerstören, und wagte, entdeckte Gesichte rückhaltlos auf-
zuzeichnen. Man versuchte das Prozeßhafte des inneren Schauens festzu-
halten, dynamisierte das Bild, damit ein visionäres Geschehen unmittelbar
im Bild selber handle. Der Maler war nicht mehr Darsteller oder Arrangeur,
sondern pures Medium der Gesichte. Man kämpfte gegen die klassische
Statik der Leinwände, um bisher unbewußte Vorgänge hemmungsloser
niederzuschreiben.

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