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DIE ROMANTISCHE GENERATION

Die französische Malerei der neueren Zeit scheint von zwei Grundkonflikten
beherrscht zu sein. Man vermag nicht mehr mit der Wirklichkeit sich abzu-
finden und in religiöser Demut sie hinzunehmen oder bewundernd zu ideali-
sieren. Weiter zeigt sich eine tiefbegründete Spaltung zwischen der Masse der
Zivilisation und den Erlebnissen des Individuums, zumal lateinische Erbschaft
und der Rationalismus des Bürgertums allzu viele Kräfte und Erlebnistypen
ausschließen.
Gewiß hatte bereits mit den Impressionisten eine entschiedenere Abwehr
gegen die klassische Überlieferung begonnen. Jedoch beschäftigten sich jene
vor allem mit technischen Fragen und malerischen Problemen; gleicherweise
waren die Dichter handwerklich befangen und außer Rimbaud weist kaum
einer Merkmale eines entschiedenen neuen Typus auf. ,,Le Coup de Des“ von
Mallarme, worin dieser das Literarisch-Dekorative mutiger überschritt, blieb
unverstanden oder unbekannt, und Lautreamont, der ganz der Romantik
angehört, jedoch an geistiger Intensität sämtliche Zeitgenossen übertraf, war
durchaus anonym geblieben oder galt als literarische Monstrosität. Statt dessen
las man den katholisierenden Baudelaire, der technisch alter Lateiner geblieben
war, moralisch verstaubte Erbsünden ausbreitete; allzu lang glaubte man, daß
Flaubert, umgekippter Romantiker, ein Mann von schwacher Erfindung und
kleinbürgerlicher Pedanterie, der in Wirklichkeit die alte Deklamation liebte,
einen Sprachstil geschaffen habe: ein Irrtum literarischer Kleinbürger, der
merkwürdigerweise in Deutschland länger gewahrt blieb als in Frankreich.
Die Sprache war auf Klang und soliden, sich wiederholenden Rhythmus ge-
stellt, also Technik einschläfernder Monotonie. Die Maler arbeiteten mit far-
bigen Äquivalenten und versuchten, einen Kompromiß zwischen der selb-
ständigeren Technik und üblicher Wahrnehmung, also optischen Vorurteilen,
zu erreichen.
Solche Haltung entsprach dem bürgerlichen Liberalismus, der das Zauber-
kunststück versuchte, befeindete Strömungen durch gegenseitige Duldung ein-
ander anzupassen. Die Programme waren vielleicht heftig gehalten, jedoch
die Tatsachen, ohne Vorurteil angeschaut, blieben recht milde. Selbst das
Christentum war von diesen Tendenzen beherrscht, alles Transzendente in ihm
war zugunsten rationaler Begreiflichkeit abgeschwächt oder verhüllt worden.
Man blieb der unbekümmerte Handwerker seiner Gedichte oder Bilder, weidete
im Grünen, feierte Frauenfleisch, skandierte harmlos in abgenutzten Gefühlen;
vielleicht war der Akzent von Vergil ins Spätlateinische gerückt.

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