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Wichtig bleibt, daß trotz allem in der Analyse der Impressionisten ein
Moment der Auflösung steckt, jedoch war man tieferer Folgerungen sich kaum
bewußt. Kaum hatte man befragt, wie weit man durch Kunst die Struktur der
Seele und des Daseins abändern und beeinflussen könne; vielmehr versuchte
man in den Bildern ein bequemes Arrangement, naiv glaubte man, Bilder
seien nur Angelegenheiten eines technisch verselbständigten Schauens; kost-
bare, doch nichtige Bibelots.
Die Bildung war dermaßen differenziert, daß alte, übergeordnete, geistige
Bezirke geradezu abgestorben waren, jedenfalls eine Bindung der Malerei in
einen bedeutenden geistigen Überbau bestand nicht; man blieb ein Techniker
sublimierten Vergnügens.
Erheblich blieb allerdings die Erschütterung des Wahrnehmens durch die
Einführung des fluiden Lichtes; damit war das Klassisch-Statische ins Wanken
geraten. Mit dem Heraufkommen der Arbeiterklasse wurden die Tendenzen
der Kultur verschoben. Hier setzte sich eine Masse durch, die noch nicht allzu-
viel von bestehender Bildung kannte; damit war das auch heute noch nicht
entschiedene Problem gestellt, ob diese Kultur einer primitiveren Klasse an-
gepaßt oder diese hilflos verbürgerlicht werde. Die Intellektuellen und Künstler
des westlichen Europas fanden bis heute kaum eine Stellung zu solcher Tat-
sache und hieraus ist ihre verstärkte Isolierung zu erklären. Im Osten hingegen
verschwand zunächst die gebrechliche Kunst im Sturm der sozialen Energien.
Theater, Kino und Journalismus blieben übrig. Im Westen blieb man unter
sich und betrieb ästhetische Erörterungen, angefüllt von handwerklichen
Schlagworten, deren Sinn kaum nachgeprüft wurde. Man benutzte abgestorbene
Kriterien und zensierte Leinwände. Damit sank das geistige Niveau der Künstler
elend ins pur Handwerkliche hinab.
Jedoch mit der Heraufkunft der Arbeiterklasse war ein wichtiges Problem
gestellt, das der Primitivierung der Zivilisation. Die Vorstellung vom Menschen
und der Glaube von der Beständigkeit dieses geradezu vergöttlichten Typus
war der Erkenntnis gewichen, daß der Mensch und seine Eigenschaften nicht
unabänderlich fixiert sind, sondern dieser ein Züchtungsprodukt sei. Vielleicht
haben Hegel und Nietzsche solche Tendenzen bedeutender beeinflußt als die
Biologen, da sie das Problem über das Physiologische hinaus ins Geistige, also
das menschlich Besondere, verlegt hatten.
Dank der Technik hatte man begriffen, daß es möglich ist, das Wirkliche in
unvorhergesehenem Maße abzuändern und zu steigern. Wir finden die geistige
Voraussetzung für solchen technischen Mut in der Physik. Riemann hatte fest-
gestellt, daß die Geometrie mit Konventionen und durchaus nicht mit ein-
deutigen Wirklichkeiten arbeite, d. h. daß wir über die sogenannte naive Er-
fahrung hinaus eine mehr oder weniger willkürliche Auslese der Elemente treffen
können, um einen uns gemäßen Raum zu bilden. Hinzu kam, daß die stabilen
Elemente erschüttert waren und man, vielleicht unter dem Einfluß der Bio-
logen, weniger die Elemente als die funktionalen Beziehungen betonte. Das
 
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