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DER KUBISMUS

G. F. Reber in herzlicher Freundschaft
Das Schaffen Derains wies, wenn auch schüchtern, andrängende Entschei-
dung; die Frage war gestellt, ob Gegenstände abzubilden seien, oder freie Bild-
gestalten erfunden werden sollen; ob Geschichte der Formen in variierender
Wiederholung bestände, wozu der Künstler fatal verurteilt bleibe und Kunst somit
einen verheiligten Konservativismus bedeute und das schöpferische Moment von
Beginn an eingeengt sei. Stellt die Geschichte, als eine fortlaufende Wieder-
holung erfaßt, nicht das Schöpferische in Frage — ist die Kostbarkeit der Über-
lieferung nicht gerade der Rettungsgürtel der Unbegabten? Wiederholung oder
Erfindung •—- man mußte sich entscheiden. Es bestand keine Kultur, die zu
selbstverständlichen Übereinkünften verpflichtet hätte. Die Konventionen,
deren man sich bediente, waren eher technische Hilfen der Spezialisten. Was
sollte all dies heißen — Gegenstände abbilden; hierzu gab es kein Gesetz, son-
dern, wenn man genau hinsah, tausend verschiedene Möglichkeiten. Die Kunst-
gesetze waren nachträgliche Konstruktionen, die den konkreten Fall vernach-
lässigten und von einem genormten, nicht existierenden Kunstwerk ausgingen.
Jedenfalls galten diese gerühmten Gesetze kaum für den nächsten Fall und
bewiesen nur die blinde Monotonie, die Gier der Schreiber nach Theorie und
Synthese, kraft deren sie sich zumeist außerhalb der konkreten Kunstwerke
stellten. Wo fand man die gerühmten Gesetze begründet? — weder im Lionardo
noch im Poussin. Sie waren eben Reste einer längst erschütterten Metaphysik.
Kunstwerke sind dermaßen komplex empfangen und in langwierigem, zwischen
Gedächtnis und Erneuern pendelndem Versuch verwirklicht, das alchimistische
Verbergen der Methode gehörte gerade zum Gelingen, so daß eindeutige Gesetze
kaum auffindbar sind, zumal alles Psychologische bis heute kaum eindeutig ist.
Das Kunstwerk ist erfaßbar dadurch gekennzeichnet, daß es im Gegensatz zum
Begriff als Einzelnes gilt und nichts seinen höchsten Wert konkreten Geltens
berührt. Vielleicht war diese ganze Ästhetik ein verzweifelter Versuch, einer miß-
glückten Art spärliche Nahrung zu verschaffen. Wäre der Kern der künstlerischen
Überlieferung die Wiederholung, so bestände diese in nachahmender Verblödung.
Ist denn Kunst so heilig, daß sie dauernd in ihren anerkannten Beständen zu
erhalten ist ? Allerdings wirft man in sie die schäbigen Reste verfallener Meta-
physik, aufgewärmte Brocken von Unsterblichkeitsglauben, also tatsächlich
alten Geisterglauben und reaktionäre Phrase. Man zuckte nicht, als Millionen
getötet wurden, warum also soviel Geschrei, wenn einmal ein Stück Kunst in
Frage gestellt wird. Man ist beunruhigt, wenn die sinnliche Erfahrung als un-
sicher und hypothetisch erwiesen wird; außerdem werden die Besitzgläubigen

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