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heißt: das klassisch-statische Weltbild war in ein funktionales und vieldeutiges
verwandelt worden.
Hatte man die Wichtigkeit des Funktionellen erfaßt, so mußte man fragen,
welchen Voraussetzungen solche Deutung entstamme. Man konnte Funktionen
nur dann feststellen und begreifen, wenn der Begreifende selber, also der
Mensch, ein Aggregat funktioneller Beziehungen darstellt. Wir haben gezeigt,
daß der göttlich üxierte menschliche Typus durch die Grunderfahrungen der
Biologie erschüttert war. Nun gelangt man von einer statischen Auffassung,
einer verharrenden seelischen Substanz, zur Psychologie, d. h. zur Erforschung
seelischer Funktionen. War jedoch die Seele nicht mehr eine unabhängig han-
delnde, sich gleichbleibende Substanz, so hieß dies, der seelische Typus kann
abgeändert werden, und diese Frage mußte allmählich zur Hauptaufgabe des
Menschen sich kristallisieren.
Bisher hatte man diesen als vernünftiges Wesen gefaßt, eine ungemeine
Überschätzung der Ratio wurde aufrechterhalten, da diese die anscheinend
unabänderlichen und unbewegbaren Erkenntnisse bot und enthielt. Eine Um-
wertung war bereits mit Nietzsche eingetreten, der den primären Einfluß des
frieblebens gewiesen hatte, mit dem verglichen die Vernunft eher die Rolle
einer lebenshemmenden Kraft spielte. Diese Umwertung wurde nun erheblich
von Freud verstärkt, der das Triebleben, die Gegenkräfte des Rationalen,
im Traum und Unbewußten wiederfand. Damit war für die Psychologie und
auch die Philosophie eine Wendung zur Romantik eingetreten. Allerdings
wäre es falsch, darum dieses Zeitalter nur als ein romantisches zu werten;
dem entgegensteht die ungemein bewußte Anstrengung der arbeitenden Massen,
deren Schicksal mit der Technik verflochten ist; hingegen charakterisiert es
die neuere Psychologie, daß sie als eine Psychologie der konkreten Person
betrieben wurde.
Wir glauben hier die entscheidenden geistigen Geschehnisse der letzten Jahr-
zehnte aufgewiesen zu haben. Es ist zu befragen: welche Rolle vermochte die
bildende Kunst innerhalb dieser Ereignisse zu spielen und wie weit konnte sie
überhaupt noch solchen entsprechen, d. h. war Kunst überhaupt noch zeit-
gemäß und nicht eher abgestorbener, geschichtlicher Rückstand. Das heißt:
wir befragen über den handwerksmäßigen Wert der Kunst hinaus den einzig
entscheidenden, nämlich den menschlichen und entrücken sie damit der nur
ästhetischen Diskussion, die letzten Endes unfruchtbar bleibt.
Malerei, bildende Kunst waren allzu lange zur Technik des Bibelots herab-
gesunken. Die Einschätzung des geistlos Dekorativen überwog schamlos.
Es scheint, daß seit langem die Kunst erst mit dem Kubismus wieder eine
geistige Position gefunden hatte und die Maler stärker denn vorher in die Ver-
änderung des Weltbildes eingegriffen hatten. Wir verbergen nicht, daß solche
Umrangierung der Malerei den meisten, die in ästhetischem Geschwätz befangen
waren, verborgen blieb; die Eitelkeit von Tenören, die sich von ihrer Zeit un-
abhängig wähnten, verhinderte solche Einsicht. Man wollte zunächst noch

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