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Kaum hat je solch reiner Aufruhr Deutschland durchstürmt. Man verlangte
anderes als neue Bilder, nämlich neue seelische Zustände. Somit wurde der
Begriff des Künstlers weit über das Handwerksmäßige hinaus gespannt.
Die Geschichte dieser Gruppe ist echt deutsch. Junge Menschen verbinden
sich, werden durch den Krieg auseinandergerissen. Marc fällt, Kandinsky geht
nach Rußland, erlebt dort die Revolution. In Rußland hoffte man im ersten
Elan sämtliche Lösungen zu finden. Ein solcher Zustand kam der etwas vagen
Lehrhaftigkeit Kandinskys entgegen. Der Mann der isolierten Gesichte ver-
sucht nun aus seinen Erlebnissen eine Lehre und ein Lehrgebäude zu schaffen.
Man erstrebt eine übertragbare Technik der Halluzination, und der Schüler
soll über inneres Schauen unterrichtet werden. Ungefähr ein Training von
Derwischen. Kandinsky kehrt nach dem Krieg nach Deutschland zurück, und
er findet sich mit Klee am Bauhaus wieder.
Im Bauhaus — letzten Endes eine Handwerkschule, allerdings auf veränder-
ten Grundlagen aufgebaut — wollte man nun mit deutscher Gründlichkeit in
neuer Seele exerzieren. Eine Sache, die eher zum simpeln Betrieb der Konstruk-
tivsten paßt als zu Leuten, die tatsächlich neue Erlebnisse auf zeichneten.
Kandinsky war in Rußland zweifellos von den Suprematisten beeinflußt
worden. Der Ablauf politischer Prozesse hatte sich dort gemäß der wissen-
schaftlichen Prophetie Karl Marx’ vollzogen, und so glaubte man, daß Wissen-
schaft hinreichend ausgebildet sei, über sämtliche Bestände auszusagen. So
war in den russischen Künstlern der Glaube an Doktrin ungemein gefestigt
und bestätigt worden. Rechtgläubigkeit am neuen Objekt. Leerlaufende Reli-
giosität bemächtigt sich nun der schwächlichen Kunstlehre. Da es jedoch un-
möglich war, über komplexe seelische Vorgänge irgend etwas auszusagen,
begnügte man sich mit ärmlichen Lehren von Quadrat und Dreieck. Man betrieb
eine Ästhetik, die der assoziativen oder atomistischen Psychologie der neun-
ziger Jahre entsprach und philosophierte in Elementen, statt komplexe
■seelische Vorgänge zu untersuchen.
Wir finden die Wirkung solch ältlicher Haltung, die ungefähr der Auf-
klärungszeit entspricht, beim zurückgekehrten Kandinsky. Dieser Maler, der
vorher gerade durch das Herausheben des Prozeßhaften und Dynamischen sich
ausgezeichnet hatte, war nun zum spielerischen, doch geschmackvollen Geo-
metriker geworden. Die freie Lorm war in Dreieck und Kreis zu symbolisieren-
der Pedanterie gealtert.
Marc fiel, und so besitzen wir von ihm nur ein beginnendes Werk. Seine
Zeichnungen aus dem Krieg bewiesen, daß dieser Mann wohl sich weiter ent-
wickelt hätte, wenn wir auch manche kosmisch aufgedonnerten Banalitäten
-seiner Kriegszeichnungen ablehnen.
Von Paul Klee stellen wir fest, daß es ihm gelang, über ästhetische Probleme
hinaus zu gegenständlicher Erfindung vorzudringen und die Figuren seines
inneren Bildens in die Wirklichkeit einzuführen und somit mit jener zu kon-
kurrieren.

.13 Einstein, 20. Jahrh. 3. Aufl.

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