Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Erzähler: Gratis-Sonntags-Beilage mit dem humoristischen Repräsentanten " Der deutsche Michel" — 1893

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44550#0085
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Erzähler.

Gratis-Soniltags-Beilage
mit dem hmnoristischen Repräsentanten „Der deutsche Michel".

Nr. 30.

Sonntag, den 4. Jnni

1893.

Jer Krcrf von Schenk.
Historischer Roman von Schmidt-Weißenfels.
(Fortsetzung.)
Michel, der durchaus nicht Lust hatte, Soldat zu werden
und sein junges Weib zu verlassen, sprang erschrocken bei
Seite und Crescenz zog ihn vollends aus dem Bereiche
des Werbeofficiers.
„Komm! Komm! Schnell von bi er fortrief sie ihm
aufgeregt zu.
„Herr Gott!" schrie Michel plötzlich, indem er seine
aufblitzende Augen auf einen bestimmten Punkt gerichtet
hielt.
Sie folgte dieser Richtung.
„Jesus Maria!" stieß nun auch sie hervor und bebte
dabei schreckensvoll zusammen.
Keine zehn Schritte entfernt sahen sie an dem auf
offenem Platze befindlichem Werbetisch der Kaiserlichen den
Condeer und Schleisertoni sitzen, mit den Unteroffizieren
Wein trinken und in der Trunkenheit unaufhörlich mit
den Gläsern anstoßen. Der alte Caspar stand hinter ihnen
und wankte auch hin und her mit weinschwerem Kopf,
gierig hinstarrend auf die große zinnerne Schüssel auf dem
Tische, in welcher die blanken Guldenstücke aufgehäuft lagen.
Die Soldatenhütlein mit stattlichen Federbüschen, welche
der ehmalige und desertirte Condeer, so wie Schleisertoni
aufgestülpt hatten, bewiesen, daß sie bereits angeworben
waren.
Wir wollen ihnen doch guten Tag sagen!" meint
Michel. „Je! Je! Sind die unter die ^Soldaten ge-
gangen!"
„Komm! Komm! forderte ihn Crescenz eindringlicher
auf und klammerte ihre kleine Hand fester um die seinige.
Michel konnte den Blick noch immer nicht von den alten
Genossen wenden.
„Wenn wir mit ihnen ein Glas tränken, Crescenz?"
„Nein, nein Michel! Laß uns fliehen vor ihnen, ehe
sie uns sehen."
„Ach, das wär' ja nur zum Abschied!"
„Sei brav, Michel! — nichts mehr mit Jenen dvrt.„
„Es sind doch alte Kameraden . . ."
„Wir dürfen sie nicht mehr kennen!"
„Crescenz! Fünf Minuten. . . ."
Er wollte sie mit sich nach dem Tisch hinüberziehen;
sie aber richtete sich muthig, mit einer fast unglaublichen
Energie neben ihm auf und rief mit zornigen Augen ge-
bieterisch :
Du kommst jetzt mit mir, ich will es!"
Er wagte nicht mehr zu widersprechen und ging ge-
horsam mit ihr davon, so eilig als sie sich und ihn mit
festem Griff aus dem Gedränge hinauszubringen vermochte.
Und eben erklangen lustig die Trompeten; die preußischen
Werber waren mit ihrer Schüssel voll blitzender Thäler auf-

gestanden und in Begleitung einiger von ihnen neu An-
geworbener, die das preußische Federhütlein auf dem Kopf
trugen, begannen sie ibren Umzug. Voran die lärmende
Musik.
Michel drehte sich schon weit ab davon, noch einmal
um, dann mußte er wohl oder übel seiner unerbittlichen
Crescenz in eine Seitengasse folgen, wohin der Lärm vom
Markte nicht mehr drang und wo sie nichts mehr davon
sahen.
In dem Umzuge aber ertönte derweil schon der übliche
Gesang, mit dem die gaffenden Burschen, leichtsinnige und
auch mit dem Gesetz schlecht stehende Männer behext werden
und an die militärische Leimruthe anfliegen sollten. Ver-
führerisch klang dazu die Musik:
Soldaten sind ehrenwerth,
Sie dienen um das Geld.
Mit Trommeln und mit Pfeifenspiel
Zichn sie ins weite Feld.
Wenn wir ein Lager schlagen,
Den Feind vor Augen sehn,
Wir dürfen nicht verzagen,
Ob alle zu Grunde gehn-
Während alles Volk sich um die maschirenden und jubeln-
den preußischen Lockvögel drängte, war es um den Werbetisch
der Kaiserlichen leer geworden. Aus den stets gefüllten
Flaschen schenkten die Werber hier ihren eingefangenen
Galgenvögeln ein, und Caspar, den selbst in dieser Zeit,
da man für die österreichischen Kriegsdienste nahm, wen
man bekommen konnte, Niemand von den Werbern wegen
seines Alters hatte haben wollen, that sich auf Regiments-
unkosten wenigstens noch einmal etwas zu Gute.
Der Condeer war ganz ausgelassen.
„Toni," sagte er und klopfte seinen Kameraden auf
die Schulter, „nun geht's in den Krieg und der Malefiz-
schenk kann uns suchen, wo er will!"
„Die Pest noch über ihn," lallte Schleisertoni.
„Wird sich am Ende wieder ein neues Schloß bauen,"
meinte Caspar.
„Im Krieg brennt so etwas bald einmal ab, was,
Caspar?" wandte sich der lange Bernhart an diesen.
„Das ging so schön," erwiederte dieser, „hätt's nicht
gedacht!"
„Ja," rühmte sich Jener wieder, „das rechne ich zu
meinen Meisterstücken. Ich habe Euch da eine feine Illu-
mination bereitet. Sakrament, hat das gebrannt! War
das ein Feuer!"
«H^/ he, jetzt seid Ihr Soldaten — aber ich?"
„Du?" antwortete dem Caspar auf diese Worte eine
Stimme, die ihn vor Entsetzen taumeln machte. „Du
kommst ins Dischinger Gefängniß und dann an den
Galgen!"
Beinhart und Toni sprangen auf. Sie wurden starr,
als sie den Lauterbacher und den Baireuther erblickten, die
 
Annotationen