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Der Erzähler: Gratis-Sonntags-Beilage mit dem humoristischen Repräsentanten " Der deutsche Michel" — 1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.44550#0100
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Der „deutsche Michel".


's is heil
widder en
poetischer
Dag, wie
iwerhaupt
die ganz
letscht Woch,
nee, ich will
sage, unser
ganzi gegc-
wärtigi Zeit
in dem
deitschc
Dressur
schtaat
poetisch is,
sell veran-
laßt mich
aach widder
zu ere
poetische
Schtimm-
ung. Wann
ihr awer
denkt, ich
will mich
heit widder

mit dem politische Durchenanncr befasse, wo deß gute,
„geeinigte" — sell Wörtl „geeinigt" bitt ich, e bissl
schtark zu betone — Vatterland begliche dhut, der is uff'm
Holzweg. Do weeß merGottschtrambach beim beschte Wille
nit mehr, was owe utt unne oder vorne un hinne is, norr
eens is llor: 's is 'n Partei-Kraut- un Rüwe-Salat, so
was war noch nit do im deitsche Schtaat. Wann ich in
all dem Wahl- un Militärprojectsrummcl e Heldethat
ausfiehre kennt, wißt ihr, was ich als deitscher Michel
dhät? Ich nahm 'n conservative Antisemitcknippl un leddert
sämmtliche nationalliberale Waschlappe im deitsche Land
dermaße durch, daß se drei Dag un drei Nächt im blitzeblooe
Soldatedelirium rumwackle sollte. Awer, ich kann norr sage,
jetzt ekelt mich die Werthschaft an un ich denk, mag's no
kumme wie's will, 's werd schun schief gehe. Schlechter wie
unser gegewärtigi Zeit is, kann se nit gut werre, denn wann's
noch een Grad schlimmer werd, giebt's Revolution, 's is
viel schun g'schriewe un gercdd worre iwer die Ursache vun
unsere schlechte Zeite. Der Eene seggt so, d'r Annere
so. Vun all dem politische Schwind! abg'sehe, will ich
noch for mei Dheel heit aach eemol — un zwar, wie
g'sagt, in „poetischer" Schtimmung — mei Meenung
abgewe iwer

Die schlechte Zeit.

Was hast du eigentlich begangen,
Du Tochter der Unendlichkeit,
Daß so viel Kläger dich belangen
Bezichtigend der Schlechtigkeit?
Es sei von deinen Uebelthaten
Das Hauptkapitel zu errathen,
Ein Viertelstündchen Dir geweiht,
Du vielverschrie'ne üble Zeit.
Vernichtest du die Frucht der Felder?
Entzündest du mit Sonnenbrand
Die Städte, Gärten, Dörfer, Wälder?
Ziehst Du, Zerstörung in der Hand
Durch dieses Erdensterns Bezirken
Umher, wo thät'ge Menschen wirken?
O, nein, wie sonst bist du doch heut
Nur ein Gedanke, Mutter Zeit.
Die Menschen stnd's, aus deren Herzen
Das angeklagte Unheil sprießt;
Ihr Geist ist jener Quell der Schmerzen,
Aus dem der Strom der Klage fließt,
Die Habsucht und das tolle Wagen,
Das Vornehmthun und Vornehmtragen,
Die Trägheit und der arge Neid
Erzeugen diese schlechte Zeit.
Statt ihren Haushalt schön zu zieren,
Statt dem Geschäfte vorzusteh'n,
Geh'n Frau'n und Töchter promeniren,
Will der Gemahl in's Wirthshaus geh'n.
Und welch ein Jammer, welche Klage,
Hat man zu jedem Feiertage,
Nicht auch ein nobles, neues Kleid,
Wie schimpft man über Dich, o Zeit!
Theater, Bälle und Kirchweiden,
Kaffee und Punsch, Liqueur und Grog,
Genußsucht, Putz und Tändeleien,
Das feinste Tuch zum Alltagsrock;
Da muß so manche Mark wohl springen,
Und ist die nicht mehr zu erschwingen,
O Janimer und o Herzeleid,
Dann klagt man über schlechte Zeit.
Die Arbeitslust ist ganz verschwunden,
Die Einfachheit ganz außer Mod',
Bei Wenigen wird Fleiß gefunden
Und die sind noch vom alten Schrot.
Sich über seinen Stand erheben,
Sich vornehm tragen, vornehm leben,
Das bringt Euch Wucher, Lug und Trug
Und größ're Lasten noch genug.

Man höret jetzt aus jedem Munde,
Die Klage über schlechte Zeit,
Als habe das Weltherz eine Wunde
Wohl Millionen Klafter weit.
Die Armen wollen fast verzagen,
Doch hört man auch die Reichen klagen —
Kurz, wo man hinkommt nah und weit —
Die Klage über schlechte Zett.
Druck und Verlag von Heckmann L Dörr, Heidelberg.

Drum höret lieber auf zu klagen
Und seid des Bessern Euch bewußt.
Wie jetzt, war's auch in frühem Tagen,
Nur damals wen'ger Hang zur Lust.
Zerbrochne Töpfe gab es immer
Und Klagen macht die Sache schlimmer.
Der Mangel an Genügsamkeit
Ist Fabrikant der schlechten Zeit.
Für die Redaktion verantwortlich: H. Dörr in Heidelberg.
 
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