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Evers, Hans Gerhard; Bernini, Gian Lorenzo
Die Engelsbrücke in Rom von Giov. Lorenzo Bernini — Der Kunstbrief, Band 53: Berlin: Verlag Gebr. Mann, 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.61768#0039
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dieser Seitenansicht kann man die Anordnung des Kreuzes-
titels begreifen, der wie eine japanische Seide entrollt wird,
und zu dem von hinten die Innenfedern, von vorn das Hand-
gelenk und die (leider beschädigten) Finger eingeschliffen
sind.
Dieser Kreuzestitel wird aber nicht nur von dem rechten
Flügel im Gleichgewicht gehalten, sondern ebenso von dem
weit abstehenden linken Flügel. Und so enthält die andere
Ansicht von links (Abb. 10) einen neuen Reichtum an
Motiven, der nur von hier, und von keiner anderen Richtung
aus zu sehen ist: das ruhelose Strudeln des Gewandes, das
Treten in den Wolken, das mächtige Rauschen des Windes
in den Flügeln (Abb. 12,13).
Ebenso lösen sich die Motive bei dem Engel mit der Dor-
nenkrone auseinander. Es ist, als werfe die Dornenkrone
(die mit zwei Fingern der rechten und einer Fingerspitze der
linken Hand angerührt wird) ihren Schatten über den Engel;
es ist, als trüge er die Stigmen dieses mystischen Kranzes
(Abb. 15,16). In der Mulde des rechten Flügels, in der Wolke
unten kehrt er wieder; in der Mitte des Leibes wirbelt er; die
Haare über dem Haupt beginnen sich zu neigen, um die
Krone zu empfangen. Wo ein solches Zeichen liegt, brennt es
das Körperhöhe weg. Bernini benutzt das Gewand nicht, um
eine wohlige Rundung des Rumpfes zu verdeutlichen,
sondern im Gegenteil, er führt die Falten so, daß sie durch
ihr Ornament das darunterliegende Gebilde ersetzen. So sind
die Achsen des Beines, der Hüfte, des aufsetzenden Leibes
angegeben, aber die Askese des Alters, die Askese des
Geistes läßt nur noch ihr Zeichen, nicht mehr ihre Sinn-
lichkeit übrig.
Diese Zusammenfügung der prismatischen Flächen, dieses
heraldische Denken, diese Klärung jedes Motivs wie eine
mathematische Aufgabe, diese Summe von handwerklicher
Erfahrung, von Geist, von Seele ist gotisch, nicht barock.
Vor allem ist es christliche Kunst, in einer Tiefe, die einsam
ist im 17. Jahrhundert. Von diesem Geiste sind zwar auch
die anderen Künstler der Engelsbrücke angeweht und über
sich selbst gehoben, so daß ihre Gesamtleistung mit Ehren
besteht; und doch kann man sie mit Bernini nicht im gleichen
Atem nennen.
Hans Gerhard, Evers

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