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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0067
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steht.1) Hierher gehören breite Friese aus
Weinranken oder Kränzen, lebensgroße
Köpfe mit griechischen Beischriften wie Dioi
nysos und Ariadne, auch mythologische Bib
der, wie Herkules mit dem nemeischen Löwen
oder Minerva (Abb. 15). Diese farbenrei?
chen Werke, zum Teil aus dicken durch den
Leinengrund gezogenen Wollbüscheln mo?
saikartig ausgeführt, stehen in der malerischen
Ausnützung der Wirktechnik den Wandtep?
pichen aus der Blütezeit europäischer Textib
kunst kaum nach. Wie diese gehen sie Hand
in Hand mit der Malerei; auf die Weberei
haben sie keinen Einfluß geübt.

In den Darstellungen der erstgenannten Abb- 15- Buntc Wirkarbeit, 5. jahrh.

— einfarbigen — Gattung lebt noch so viel

von antiken Motiven, von griechischem Schwung und Bewegtheit der Zeichnung, daß man,
auch wegen des Fehlens christlicher Darstellungen, mehrfach die drei ersten Jahrhun?
derte nach Christus als Entstehungszeit angenommen hat. Das ist schon deshalb nicht mög^
lieh, weil damals die tunica clavata als allgemeine Volkstracht noch nicht gebräuchlich
war. Dann stehen stilistische Gründe dieser Datierung durchaus entgegen. Zwischen der
vorkonstantinischen Kunst und dem Stil der ältesten Wirkereien liegt ein ganz beträcht^
licher Abstand. Die Sammlung alexandrinischer Knochenreliefs im Kaiser Friedrich Mu-
seum2) zeigt, wie nahe das Kunsthandwerk am Hauptsitz des ägyptischen Hellenismus,
der auch der Ausgangspunkt der antikisierenden Wirkerei war, noch im 4. Jahrhundert den
klassischen Formen gestanden hat. Von dieser Stufe sind aber die Wirkereien schon weit
entfernt. Das Gefühl für richtige Verhältnisse der menschlichen Gestalt ist im Schwinden,
die Köpfe sind übermäßig groß, die Unterschenkel und Füße oft verkümmert. Der innere
Zusammenhang der Darstellungen ist gelockert oder verloren; den Reitern und schildbe?
wehrten Figuren in bewegter Kämpferstellung fehlt das Ziel, der Gegner; die symmetrisch
gedachten Victorien und Genien erscheinen, wie die Musterbücher sie brachten3) vereinzelt
ohne Gegenstück. Man sieht, der Wirker verwendet membra disjecta aus einst zusammen?
hängenden mythologischen, circensischen oder Jagdbildern von der Art der afrikanisch*
römischen Pavimente in rein ornamentaler Weise. Unter den nicht figuralen Arbeiten dieser
Wirkereigruppe kehrt oft ein aus antikisierender Vase aufwachsender Weinstock wieder,
in dessen Geäst Vögel oder andere Tiere, gelegentlich auch eine Bacchusfigur eingeordnet
sind.4) Auch hier läßt die Linienführung der Ranken den antiken Rhythmus vermissen; sie
geht schon auf die gleichmäßige Flächenfüllung aus, ähnlich den Weinranken an der Elfen?
beinkathedra des Bischofs Maximian (546—553) von Ravenna, die als ein alexandrinisches
Werk der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts gilt.5)

x) Beispiele s. Heiden, Die Textilkunst fig. 155; Migeon, Les Arts du Tissu S. 33; Heiden, Lexi*
kon der Textilkunde fig. 111. — Einen Anhalt zur ungefähren Zeitbestimmung der Gattung darf man
einer römischen Katakombenmalerei aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts entnehmen. Flier ist das
Gewand einer Orantin, abgeb. Venturi Storia I fig. 16 mit zwei breiten Girlandenstreifen dieses Stils ge*
schmückt.

2) Strzygowski, Hellenistiscl^koptische Kunst in Alexandria T. 1—11.

3) Vgl. Amtliche Berichte der K. Kunstsammlungen XXX, 1909, fig. 181.

4) Blanchet, Notices sur quelques tissus T. 11; Heiden, Textilkunst fig. 148; Strzygowski, Helle*
nistisch*koptische Kunst in Alexandria fig. 47.

5) Abbildungen beiMolinier, Ivoires; Venturi, Storia I; Illustr. Gesch. des Kunstgewerbes! fig. 128, 129.

Falke, Seidenweberei.

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