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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0068
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Es ist möglich, daß von den vorwiegend
figürlichen Wirkereien antiken Inhalts die best?
gezeichneten, ähnlich den Abbildungen 12—14,
noch in das 5. Jahrhundert zurückreichen; die
Mehrzahl ist aber erst im 6. Jahrhundert oder
wenig später entstanden. In der weiteren Entwick*
lung verschwindet die Einteilung der Quadrate
in fünf Kreise; das Mittelfeld wird von kleinen,
nebeneinander gereihten oder an den Berührungs-
punkten verschlungenen Kreisen umstellt, die zu*
meist Tiere oder Pflanzen enthalten (Abb. 16 und
17). Oder Akanthusranken, die schon in der
ersten Gruppe auftreten, umrahmen das Mittelf eld,
Tiere und Früchte in den Ausbuchtungen ein?
schließend (Abb. 18).x) Kennzeichen der späteren
Entstehung — etwa um 600 — sind der Niedergang
des zeichnerischen Könnens und die Verdrängung
der Figuren durch das Ornament. Die menschliche Gestalt wird immer formloser und
seltener, die Linienführung unbeholfen; die Kreise und Wellenranken werden eckig und
schwunglos.2) Es ist schwer festzustellen, wie lange die Wirkerei in dieser Form fortgelebt
haben mag; wahrscheinlich hat sie die antikisierenden Elemente entartet und barbarisiert
noch in die Frühzeit des Islam hinübergetragen. Denn ihr häufigstes Rahmenmotiv, die
hintereinander herlaufenden Tiere, Löwen, Hunde, Hasen, erscheint später in den west?
islamischen Seidenstoffen Ägyptens, von der Fatimidenzeit bis zu den Mamluken, auch
in Elfenbeinschnitzereien in so auffallend ähnlicher Gestalt, daß der Gedanke an einen Zu?
sammenhang mit den Ausläufern der hellenistischen Wirkerei sich aufdrängt.

Jedenfalls ist das 6. Jahrhundert noch zur Blütezeit der Wirkerei antiker Tradition zu
rechnen. Zu ihren vornehmsten Schöpfungen rein ornamentalen Inhalts zählen die durch?
weg einfarbig violett oder dunkelblau auf weiß gewirkten Besätze in der Form großer
Blätter mit weißer Innenzeichnung oder von Quadraten, Rauten und achtspitzigen Stern*
feidern (überkreuzten Quadraten), die hauptsächlich mit kunstvollen Bandgeflechten ge?
füllt sind (Abb. 19, 20, 21). Beide Arten, die großen Blätter und die Flechtwerkfelder ge?
hören augenscheinlich zeitlich und örtlich eng zusammen, denn es gibt einerseits Blattfelder
mit Flechtfüllung3) und andrerseits Quadrate und Sterne, die neben dem Bandgeflecht auch
die typischen Blattornamente enthalten.4) Diese Gattung ist von Cox und anderen als der
den Kopten eigentümlichste Bestandteil der ganzen Wirkornamentik, als ihre ureigene
Schöpfung erklärt worden, obwohl kein Zweifel darüber bestehen kann, daß das Haupt*
element, die Bandverflechtungen, von der spätantiken und frühmittelalterlichen Kunst im
ganzen Bereich der ost? und weströmischen Kultur mit Vorliebe verwendet worden ist. In
einer den ägyptischen Wirkereien auff allend ähnlichen Gestalt tritt das Bandgeflecht oft und
oft in spätrömischen Mosaikfußböden auf.5) Die Verwandtschaft beruht wohl darauf, daß

0 Die klassische Form dieses Motivs auf einer pompei'anischen Wandmalerei abgeb. Heiden, Textih
kunst fig. 138.

2) Die Degeneration ist in der umfangreichen Wirkereisammlung des Kaiser Friedrich Museums schritt*
weise zu verfolgen; vgl. auch Gerspach fig. 2, 3, 6, 7.
:i) Gerspach, fig. 16.

') Vgl. Abb. 19; Gerspach, fig. 17, 20, 22; Riegl, T. 11.

5) Beispiele bei de Rossi, Musaici cristiani di Roma: Pavimente aus der Basilica Liberiana, dem der
Kirche S. Maria Maggiore vorausgehenden Bau des 4. Jahrhunderts; ferner bei W'ilmowsky, Römische Mo-
saiken aus Trier T. 1, 2, 3, 8; Originalmosaiken im Thermenmuseum zu Rom.

Abb. 22. Mosaikboden im Theodcrichpalast,
Ravenna um 500.

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