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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0109
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nicht; im 6. Jahrhundert wurden ähnliche Muster, nur reicher und farbiger, von jener alexan?
drinischen Werkstatt gewebt, die den Verkündigungsstoff (s. T. 6) geschaffen hat. Ein
Fragment dieser Art besitzt die Berliner Stoffsammlung (Inv. 84. 220), ein anderes der Dom
von Sens.

E. Die Seidenstoffe von Alexandria.

Urkundliche Nachrichten, welche die alexandrinische Herkunft der spätantiken Seiden?
stofte, die ich der Hauptstadt des hellenistischen Ägyptens zuschreibe, unanfechtbar beweisen
könnten, sind nicht vorhanden. Die Zuweisung kann lediglich auf Wahrscheinlichkeits?
gründe sich stützen. Sie geht von der Voraussetzung aus, daß Alexandria auf diejenige
Gattung der nachweislich in Ägypten gewebten Seidenstoffe vorislamischer Zeit, welche die
weiteste Verbreitung in der christlichen Welt gefunden haben, die besten Ansprüche erheben
darf. Die Bedeutung der unter den Ptolemäern mächtig emporgediehenen Seestadt als Brenn?
punkt spätgriechischer Kultur, als Metropole hellenistischer Kunst und Wissenschaft, des
Handels und der Gewerbe, ist bekannt genug. Es wäre widersinnig anzunehmen, daß in
dieser reichen Weltstadt, dem Schauplatz höchster Luxusentfaltung und üppiger Lebens?
freude, wo ein starker Strom des Levantehandels mündete und wieder nach dem Abendland
sich verzweigte, daß hier die Seidenweberei, der bevorzugte Zweig des spätantiken Kunst?
gewerbes, nicht zum mindesten dieselbe Pflege und Förderung gefunden hätte, die ihr weitab
von den Bezugsquellen in Mittel? und Oberägypten zuteil geworden ist. Schon am Anfang
des 5. Jahrhunderts beherbergte Alexandria nach Aussage des Codex Theodosianus vom
Jahre 438 neben Byzanz, Kyzikus und Karthago ein Gynaeceum, also eine für den ost?
römischen Hof arbeitende Werkstatt für Seidenweberei und Färberei.

Seit den Tagen Herodots war das Nilland bekannt als die Heimat der geschicktesten
Weber, weil die Weberei hier als Gewerbe der Männer, nicht als Frauenarbeit betrieben
wurde. Grade in der Zeit, als in Rom der Seidenverbrauch einsetzte, berichtet Plinius, daß
in der eigentlichen Kunstweberei — plurimis liciis texere, quae polymita appellant — Alexan?
dria die Führung erlangt habe. Und im 8. und 9. Jahrhundert, zweihundert Jahre nach der
arabischen Besetzung, ist es noch immer Alexandria, das nächst Byzanz die Hauptmasse
der Seidenstoffe für die im Liber pontificalis verzeichneten Ausstattungen der römischen
Kirchen lieferte. Eine solche Ergiebigkeit während der ersten Anfänge islamischer Kunst?
Übung wäre unwahrscheinlich ohne die Vorstufe eines blühenden Seidengewerbes der Spät?
antike, das in der eingesessenen Bevölkerung genügend festgewurzelt war, um den Abzug
der Griechen zu überstehen.

Von den hier für Alexandria in Anspruch genommenen Stoffen ist ein Teil in Ägypten
ausgegraben worden, ohne daß die genauen Fundorte festgestellt worden wären. Aus dieser
Quelle stammen nur Gewandbesätze, viereckige Abschnitte, die je ein Kreisfeld des Musters
enthalten, vereinzelt auch abgepaßte Claven nebst den zugehörigen Rundstücken. Die Mehr?
zahl der wichtigsten Gewebe hat der Reliquienkult im Abendland gerettet. In der Laterans?
kapelle Sancta Sanctorum, im alten Luciusdom von Chur, in der Stiftskirche zu Säkkingen,
in S. Ursula in Cöln und der Klosterkirche Ottobeuren, im Münsterschatz von Aachen, in
S. Servatius zu Maastricht und im benachbarten Münsterbilsen, im Lütticher Dom und an?
deren belgischen Kirchen sind die auf Tafel 6 bis 12 farbig abgebildeten Denkmäler von
Alters her verwahrt worden.

Alle diese weit verstreuten Stücke werden einerseits durch die Stilverwandtschaft des
Ornaments und der Figuren, andrerseits durch die gleichartige Färbung zu einer einheitlichen
Gruppe zusammengeschlossen.

Die Farbenwirkung ist reich und lebhaft. Die Färber müssen sich unverwüstlicher
Farbstoffe bedient haben, da die einzelnen Töne von der ursprünglichen Kraft und Frische

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