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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0123
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in den Jagdbildern persischer Seidenstoffe ist ebenso wie in der zweiten Gruppe der alex?
andrinischen Reiterstoffe die symmetrische Figurenverdopplung durchgeführt. Wenn das
nicht auf einem besonderen Bedürfnis der Weberei, sondern auf einem vom Altertum her
fortwirkenden oder orientalischer Empfindung angeborenem Kunstprinzip beruhen würde,
so sollte man erwarten, daß für dieselben Jagdbilder bei einer Ausführung in anderem
Werkstoff, bei ungefähr gleichem Maßstab, ebenfalls die Symmetrie zur Geltung käme. Das
ist aber keineswegs der Fall. Neben den Pehlewigemmen geben die persischen Silberschalen
der Sassanidenzeit Jagdtaten der Könige in Mengen.1) Etwas realistischer als die gleich?
zeitigen Gewebe, weniger mythologisch, bleiben die Motive im Grund doch dieselben. Und
auf den Silberschalen erscheinen die Reiter immer einzeln, niemals ein Versuch symme?
frischer Anordnung. Mehr noch; nicht einmal in der Seidenweberei Persiens ist die Spiegel?
bildmusterung die Regel oder auch bloß vorwiegend. Von den Tiermustern (mit oder ohne
Kreiseinteilung), die inhaltlich der mechanischen Verdopplung offenbar weniger wider?
streben, als die Bilder von Königen, entbehren die der Sassanidenzeit angehörigen Beispiele
fast durchweg noch der symmetrischen Ordnung. Der große Hahnenstoff im Vatikan (vgl.
T. 21, Abb. 98) und der kleine in Berlin (vgl. Abb. 103), die Entenstoffe in Rom und Aachen
(vgl. T. 22 a, Abb. 99, T. 23 a), die Steinböcke und Flügelrosse aus Antinoe (vgl. Abb. 48,49, 50),
die Hippokampen und Vogelmuster auf den Gewändern der Chosroesreliefs von Takibostan
(vgl. Abb. 91 bis 95), lauter gesicherte sassanidische Muster, ordnen die Tierbilder nicht
gegenständig, sondern in einseitig gerichteten Reihen. Das ist dieselbe Anordnung, die schon
der altgriechische Entenstoff aus der Krim (vgl. Abb. 5), die persischen Gewänder auf dem
Mosaik der Alexanderschlacht und weiterhin mehrere mit Enten gemusterte Gewänder im
Theodoramosaik von S. Vitale in Ravenna aufweisen.

Nach alledem ist es unmöglich, die gegenständigen Doppelmuster auf ein persisches
Kunstprinzip zurückzuführen. Im Mittelalter beherrschen sie allerdings die orientalische
Seidenweberei ebenso wie die des Abendlandes. Entstanden sind sie aber beiderseits aus
einem allgemeinen Zeitgeschmack heraus durch allmähliche Umbildung der älteren einseitig
gerichteten Muster aus Einzelmotiven.

Daß in Alexandria die Wandlung vom Einzelbild zum Doppelbild im Verlauf des
6. Jahrhunderts sich vollzog, ist an den vorhandenen Stoffen zu verfolgen; nichts berechtigt
zu der Vermutung, daß Persien hierin vorangegangen oder Vorbild gewesen. Die unmittel?
bare Ursache der Spiegelbildmuster ist in künstlerischen und technischen Anforderungen
der Seidenweberei selbst zu suchen. Denn für die schwierigste Arbeit des Kunstwebers, die
mustergerechte Aufteilung aller Kettfäden und ihre Verbindung mit den zur Fachbildung
nötigen Aufzügen, bot der symmetrische Umschlag des Musterbildes eine ganz wesentliche
Erleichterung und Zeitersparnis. Er verlieh außerdem den gewebten Bildern vollkommenes
Gleichgewicht. Und das war wohl entscheidend. Solange man figürliche Motive in Reihen
hintereinander darstellte, ergab sich leicht eine einseitige Richtung des Musters, wie sie am
Maenadenstoff von Sens (s. Abb. 52) am auffälligsten zutage tritt. Kein anderes Mittel
konnte so gut wie die gegenständige Verdopplung diese beim Gebrauch der Stoffe oft un?
erwünschte Wirkung aufheben.

Die Flächenteilung der Seidenstoff e durch aneinander gereihte Kreise hängt so eng und
offenkundig mit dem spätantiken Mosaikstil zusammen, daß eine orientalische Entstehung,
etwa aus dem altassyrischen Flechtband, gar nicht in Frage kommen kann. An der Pflege
der musivischen Kunst ist der eigentliche Orient, also Persien, überhaupt nicht beteiligt;
ihre Entwicklung hat sich ausschließlich auf römisch?griechischem Gebiet vollzogen, wobei
dem syrisch ?alexandrinischen Kunstkreis die Führung und Stilbildung zufiel. Es ist an

*) Smirnow, Argenterie Orientale.

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