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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0122
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persischen und den syrisch?byzantinischen Seidenstoffen vorislamischer Zeit zusammenge*
worfen wurdenstützt sich die noch immer vorherrschende Auffassung, daß der spätan?
tike und frühmittelalterliche Seidenstil — nämlich die symmetrisch verdoppelten Figuren
und Tiere in Kreisfeldern — aus altorientalischer Überlieferung heraus im sassanidischen
Persien geschaffen worden sei. Diese Theorie ist ziemlich alt und anfänglich mögen der
exotisch klangvolle Name der Sassaniden und dunkle Vorstellungen von der märchenhaften
Pracht und Prunksucht im schätzereichen Ktesiphon zu ihrer Beliebtheit beigetragen haben.
Sie ist auch späterhin, als man anfing, die Seidenornamentik im Zusammenhang der kunst?
geschichtlichen Entwicklung zu betrachten, in Kraft geblieben. J. Lessing hat sich in diesem
Sinn kurz und bündig im Führer zur Ausstellung der Berliner Stoffsammlung 1890 ausge?
sprochen: ,,Bis zum Sturz des sassanidischen Reiches durch die Khalifen, Zerstörung von
Ktesiphon 650, beherrscht die persische Seidenweberei den Markt und die Musterbildung
von Vorderasien, Ägypten und Europa." Auf diesem Standpunkt fußend hat J. Lessing in
den Beschreibungen unserer Tafeln die Amazonen von Säkkingen und die Bogenschützen
von Maastricht als sassanidische Muster oder sassanidische Arbeit, den Quadrigastoff
und den Dioskurenstoff als vorderasiatisch bestimmt. Der sassanidische Ursprung der
Reitermuster ist dann von Strzygowski2) nachdrücklich als etwas selbstverständliches ver*
treten worden. Sogar die Löwenjäger in rein antiker Kriegstracht (s. T. 7a) stehen für ihn
„dem Persischen besonders nahe". Daß A. Riegl für den Maastrichter Reiterstoff wegen des
auch von Strzygowski wieder angerufenen sogenannten sassanidischen Diademzeichens die
persische Herkunft ebenfalls gelten ließ, ist erwähnt worden.

Auf zwei Gründe vor allem stützt sich die Behauptung der persischen Priorität im
Seidenstil: Erstens soll die symmetrische Spiegelbildverdopplung der figürlichen Muster
nur aus orientalischer Quelle abzuleiten sein und zweitens gilt die Darstellung von Reitern
auf der Löwenjagd als ein spezifisch mesopotamiscfmranisches Motiv. Strzygowski nimmt
zudem die zusammenhängende Kreismusterung der Seidenstoffe für Vorderasien in An*
spruch, weil sie aus dem altmesopotamischen Flechtband sich entwickelt haben soll.

In den beiden ersten Behauptungen steckt ein richtiger Kern; trotzdem stimmen die
daraus für die Geschichte der Kunstweberei gezogenen Schlußfolgerungen mit dem Zeug*
nis der Denkmäler selbst nicht überein.

Die entschiedene Neigung der altorientalischen Kunst Mesopotamiens — allerdings
auch schon der mykenischen:i) — für die absolut symmetrische Gegenüberstellung figür?
licher Motive, den sogenannten Wappenstil, ist bekannt und das Auftreten solcher Formen
in der archaischen Vasenmalerei Griechenlands und in der etruskischen Kunst hängt uns
zweifelhaft mit den Ausstrahlungen der assyrischen Kunst zusammen. Diese Übertragung
hatte sich aber ein Jahrtausend vor dem Entstehen des Seidenstils abgespielt. Für den letz*
teren könnte nur die neupersische Kunst der Sassanidenzeit als Quelle in Frage kommen.
Sie ist in viel höherem Maß als A. Riegl zugab4) eine nationale Äußerung iranischen Wesens
und in der Tat erfüllt mit achämenidischen Erinnerungen. Aber von der absoluten Sym*
metrie ist an den sassanidischen Kunstdenkmälern nicht mehr zu bemerken, als in der römi*
sehen Kunst der Kaiserzeit. Eher weniger. Die monumentalen Felsenskulpturen ordnen
die Figuren entweder ungebunden oder nach dem Grundsatz des ungefähren Gleichgewichts
und bei figürlichen Darstellungen der neupersischen Gemmen ist es nicht anders. Lediglich

') Nur Migeon hat in der Gazette des Beaux Arts 1908 S. 471 den Anteil von Ost und West richtig
auseinander geschieden.

2) In dem öfter erwähnten Aufsatz „Seidenstoffe aus Ägypten" im Jahrbuch der preuß. K. S. 1903

S. 151.

:!) Außer dem Löwentor vgl. man Furtwängler, Antike Gemmen T. II fig. 32, 36; T. III fig. 10,20—26.
') Vgl. Altorientalische Teppiche, Kap. IV, besonders S. 115.

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