Die Propheten.
f
!
„Kann?" fährt der Kriegsprophet aus; „Nein, muß!
Und es kommt nicht, es ist schon gekommen. In Spanien
rührt sich's auch; in Griechenland spukts; in Mexiko ist der
Teufel los, und in Deutschland — na, in Deutschland! Selbst
in Deutschland ist es nicht ganz richtig, obgleich doch sonst
i bei uns Alles richtig ist. In Kropistadt hat es bei der neuen
Bürgermcisterwahl Unruhen gegeben; Fenster sind entzwei ge-
worfen worden, Militär ist requirirt worden, man hat drei
Schneidergesellen eingesteckt, — kurz, wohin man nur sieht,
geschehen große Dinge und unerhörte Ereignisse."
In dieser Weise haranguirt der Prophet einige Wochen
lang täglich den Conditorjungen oder einen Kreis stiller Be-
wunderer, welche sich seit Jahren um den Kriegspropheten
versammeln, und nicht müde werden, die alten Kriegs- und
Revolutionsmärchen mit anzuhören und immer wieder zu glau-
ben. Unterdeß macht die Deputirtenkammer einigen Lärm;
Guizot verwahrt sich; Peel verwahrt sich gegen die Verwahrung,
und nachdem unter Verwahrungen, Drohungen und Artig-
keiten ein Monat verstrichen, spricht von dem Vorfall Nie-
mand mehr, selbst unser Kriegsprophet nicht. An dergleichen
ist er gewöhnt, und schon hat sich für ihn an einer andern
Stelle der politische Horizont wieder blutroth gefärbt.
„Ja," ruft er eines Abends, „das Hab' ich immer ge-
sagt, der alte Mehemet Ali schläft nicht, auch wenn er sich
stellt, er habe die Augen zu. Jetzt ist er gar in die Hamlet-
rolle verfallen und spielt den von Cairo und zugleich vom
Verstände Abwesenden vortrefflich. Warum thut er's? Wir
wollen sehen. Mit einem Male wird er losbrechen, und dann
Gott Gnade dem Sultan! Und drauf was weiter? kalt ac-
compli? Prosit Mahlzeit! Interventionen, Demonstrationen,
endlich allgemeiner Krieg — das ist das Ende vom Liede."
Oder: „Na, das sind mir schöne Geschichten! Texas
endlich doch einverleibt! Hab's immer gesagt, daß es so kom-
127
men mußte. Die Nordamerikayer stecken zulM ganz Amerika
in den Sack. Tyrus ist gefallen, Karthago, Nom sind ge-
fallen , Venedig, Genua, die Hansa, Portugal, Spanien,
Holland haben ihre maritime Größe nach einander eingebüßt,
denn das Meer ist treulos wie eine Katze, sage ich Ihnen,
meine Herren! und wir Deutschen sollten Gott danken, daß
wir mit der buhlerischen See kein Ehcbündniß eingegangen
sind — ja, was ich sagen wollte: England hat seinen höch-
sten Glanzpunkt erreicht, also muß es fallen, wenn es fal-
len muß, so muß es auch einen Krieg geben, wenn es ei-
nen Krieg geben muß, so muß eine Nation da sein, mit
welcher man Krieg führt, wenn es eine solche Nation geben
muß, so muß und kann es nur das Volk der Nordameri-
kaner sein, wenn es nur das Volk der Nordamerikaner sein
kann und muß, so kann es natürlich keine andere Nation
sein, wenn nun dieß Alles geschehen muß, so muß es
auch einen Augenblick der Krisis geben, und dieser Augen-
blick ist jetzt eingetreten. Meine Schlußfolge ist so logisch,
daß dagegen gar nichts einzuwenden ist. Ich kann mich nicht
verrechnen, denn ich verrechne mich nie. Und da ich mich
nicht verrechnen kann, so gibt cs einen Seekrieg. Frankreich
wird mit Amerika, wir werden mit England sein: folglich
allgemeiner Sec- und Landkrieg. Nordamerika schlägt Eng-
land zur See, wir schlagen Frankreich zu Lande; folglich
sind Frankreich und England geliefert. Blut in Strömen
wird's freilich kosten; doch was Blut!"
Der Kriegsprophet setzt bei diesen Worten sein Glas
Rothwein mit einem Feuer nieder, daß es zerbricht, und ein
Glassplitter ihm den kleinen Finger verletzt.
„Himmel Donnerwetter! Oh — oh — oh weh!" schreit
der Kriegsprophet in Verzweiflung, wickelt die verletzte Hand
in sein Taschentuch, behauptet, er werde wegen des Blutver-
lustes in Ohnmacht fallen, und läßt sich durch einen Fiaker
nach Hause schaffen, weil ihm der Schreck in die Glieder ge-
fahren ist, und seine Füße in Folge davon zu schwach sind,
ihn zu tragen.
Hermann Marggrasf.
(Schluß in nächster Nummer )
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„Kann?" fährt der Kriegsprophet aus; „Nein, muß!
Und es kommt nicht, es ist schon gekommen. In Spanien
rührt sich's auch; in Griechenland spukts; in Mexiko ist der
Teufel los, und in Deutschland — na, in Deutschland! Selbst
in Deutschland ist es nicht ganz richtig, obgleich doch sonst
i bei uns Alles richtig ist. In Kropistadt hat es bei der neuen
Bürgermcisterwahl Unruhen gegeben; Fenster sind entzwei ge-
worfen worden, Militär ist requirirt worden, man hat drei
Schneidergesellen eingesteckt, — kurz, wohin man nur sieht,
geschehen große Dinge und unerhörte Ereignisse."
In dieser Weise haranguirt der Prophet einige Wochen
lang täglich den Conditorjungen oder einen Kreis stiller Be-
wunderer, welche sich seit Jahren um den Kriegspropheten
versammeln, und nicht müde werden, die alten Kriegs- und
Revolutionsmärchen mit anzuhören und immer wieder zu glau-
ben. Unterdeß macht die Deputirtenkammer einigen Lärm;
Guizot verwahrt sich; Peel verwahrt sich gegen die Verwahrung,
und nachdem unter Verwahrungen, Drohungen und Artig-
keiten ein Monat verstrichen, spricht von dem Vorfall Nie-
mand mehr, selbst unser Kriegsprophet nicht. An dergleichen
ist er gewöhnt, und schon hat sich für ihn an einer andern
Stelle der politische Horizont wieder blutroth gefärbt.
„Ja," ruft er eines Abends, „das Hab' ich immer ge-
sagt, der alte Mehemet Ali schläft nicht, auch wenn er sich
stellt, er habe die Augen zu. Jetzt ist er gar in die Hamlet-
rolle verfallen und spielt den von Cairo und zugleich vom
Verstände Abwesenden vortrefflich. Warum thut er's? Wir
wollen sehen. Mit einem Male wird er losbrechen, und dann
Gott Gnade dem Sultan! Und drauf was weiter? kalt ac-
compli? Prosit Mahlzeit! Interventionen, Demonstrationen,
endlich allgemeiner Krieg — das ist das Ende vom Liede."
Oder: „Na, das sind mir schöne Geschichten! Texas
endlich doch einverleibt! Hab's immer gesagt, daß es so kom-
127
men mußte. Die Nordamerikayer stecken zulM ganz Amerika
in den Sack. Tyrus ist gefallen, Karthago, Nom sind ge-
fallen , Venedig, Genua, die Hansa, Portugal, Spanien,
Holland haben ihre maritime Größe nach einander eingebüßt,
denn das Meer ist treulos wie eine Katze, sage ich Ihnen,
meine Herren! und wir Deutschen sollten Gott danken, daß
wir mit der buhlerischen See kein Ehcbündniß eingegangen
sind — ja, was ich sagen wollte: England hat seinen höch-
sten Glanzpunkt erreicht, also muß es fallen, wenn es fal-
len muß, so muß es auch einen Krieg geben, wenn es ei-
nen Krieg geben muß, so muß eine Nation da sein, mit
welcher man Krieg führt, wenn es eine solche Nation geben
muß, so muß und kann es nur das Volk der Nordameri-
kaner sein, wenn es nur das Volk der Nordamerikaner sein
kann und muß, so kann es natürlich keine andere Nation
sein, wenn nun dieß Alles geschehen muß, so muß es
auch einen Augenblick der Krisis geben, und dieser Augen-
blick ist jetzt eingetreten. Meine Schlußfolge ist so logisch,
daß dagegen gar nichts einzuwenden ist. Ich kann mich nicht
verrechnen, denn ich verrechne mich nie. Und da ich mich
nicht verrechnen kann, so gibt cs einen Seekrieg. Frankreich
wird mit Amerika, wir werden mit England sein: folglich
allgemeiner Sec- und Landkrieg. Nordamerika schlägt Eng-
land zur See, wir schlagen Frankreich zu Lande; folglich
sind Frankreich und England geliefert. Blut in Strömen
wird's freilich kosten; doch was Blut!"
Der Kriegsprophet setzt bei diesen Worten sein Glas
Rothwein mit einem Feuer nieder, daß es zerbricht, und ein
Glassplitter ihm den kleinen Finger verletzt.
„Himmel Donnerwetter! Oh — oh — oh weh!" schreit
der Kriegsprophet in Verzweiflung, wickelt die verletzte Hand
in sein Taschentuch, behauptet, er werde wegen des Blutver-
lustes in Ohnmacht fallen, und läßt sich durch einen Fiaker
nach Hause schaffen, weil ihm der Schreck in die Glieder ge-
fahren ist, und seine Füße in Folge davon zu schwach sind,
ihn zu tragen.
Hermann Marggrasf.
(Schluß in nächster Nummer )
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Propheten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.16, S.127
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg