Die Propheten.
135
Politische Correspondenz.
schnitten die übelsten Gesichter. Nur unser Wetterprophet
schwitzte oder gab vor zu schwitzen. In seinem Schlaf- und
Arbeitszimmer durfte nicht geheizt werden, und bei seinen tägli-
chen Spaziergängen, die Ludwigsstraße auf und nieder, suchte
er die Schattenseite, wie er im April 1844 stets die Sonnenseite
gesucht hatte. Er trug ein leichtes Sommerfräckchen, dünne
Nankinghosen, Schuhe und seidene Strümpfe, die bebrillte Nase
hoch in die Luft gesteckt und den Hut unter dem Arme, wäh-
rend er den angeblichen Schweiß mit dem Taschentuche von der
Stirn wischte.
„Aber Mann Gottes!" sagte einmal ein Bekannter zu
ihm, „wie können Sie es nur so aushalten?"
„Ja, das sage ich selbst," antwortete gelassen unser Wetter-
prophet, „es ist, nämlich für den Winter, wo man an derglei-
chen nicht gewöhnt ist, so unausstehlich schwül, daß man kaum
die Kleider auf dem Leibe dulden mag," und er pustete auf's
schrecklichste und wischte sich den Schweiß von dem ganz blau
gefrornen Gesichte.
Unser Wetterprophet beweist, daß es auch jetzt noch Mär-
tyrer gibt, die um ihres Glaubens willen allen Mühsalm,
Schmerzen und Peinigungen mit dem unerschütterlichsten Helden-
muthe Trotz zu bieten wisien.
Hermann Marggrass.
Politische Correspondenz.
Paris, den 1. Juli 1848. Sie haben ver-
muthlich schon längst gelesen, daß die Armimng un-
serer Forts nunmehr nach heftigen Debatten geneh-
migt, und bereits die Summen hiesür angewiesen sind; aber die Art
der Geschütze selber, die aus der Menge der zur Probe gestellten Mo-
delle, die von Toulon, Arras, Brest und weiß Gott woher, eingesandt
kamen, gewählt wurde, ist Ihnen ohne Zweifel noch fremd. Ich be-
eile mich, Sie davon in Kenntniß zu setzen.
Gestern Abend in Gesellschaft bei General Laidet kam T hier-
auf mich zu und sagte: .Sehen Sie Freund, wir haben jetzt ge-
funden, was wir längst gesucht. Betrachten Sie sich einmal dieß
Blättchen." Dabei langte er au« seinem Portefeuille, da« er be-
ständig unter dem Arme trägt, eine kleine Zeichnung hervor, die er
mir nachher überließ, und die ich Ihnen hier beilege. Er erklärte
mir nun Alles ganz ausführlich — ich gebe es kurz wieder.
Es ist dieß die Erfindung von Nr. Lauäeguiv, früher in der
großen Gießerei von Nr. Halette in Arras beschäftigt.
Fig. 1 stellt die allgemeine Form de« Geschützes dar. Schon
beim ersten Anblick fällt jedem da« Leichtbewegliche in der Construc-
tion auf. Man braucht es nur hinten oder vome an den Seiten-
ringen auszuheben, um es schnell vom Platze und in jede beliebige
Richtung zu bringen. Dieß ist indessen gar nicht nothwendig, da
die Pidce beständig auf einem Flecke stehen bleiben soll, und vorne
und hinten losgeht, und deßhalb 2 Kammern und 2 Zündlöcher hat.
In dieser Form werden nun die verschiedenen Kaliber angesertigt,
(nämlich 800 Stück Sechsunddreißigpfünder, 1200 Stück Bierzig-
pfünder und 600 Achtundvierzigpfünder) und dergestalt auf den
Wällen Placirt, daß die eine vordere Seite, die mit dem Wappen
von Paris und der Inschrift: kour l'douneur et la gloire de la
patrie geziert ist, nach dem Lande zu gerichtet wird, und die Rück-
seite mit dem Wappen von Frankreich und der Devise: dedie ä la
capitale Adele, in die Stadt hinein sieht. Bereits wurden mit der
einen neuen fertigen Piece (die jetzt auf dem Fort von Jvry steht)
in Arras Proben gemacht, die nach Urtheil von Sachverständigen
äußerst genügend ausgefallen sind.
Fig. 2 giebt diese Pisce im Grundplan.
Fig. 3 ist das Modell eines Schilderhäuschens,
wa« vorne und hinten osten steht und wohlweislich
2 Windfähnlein hat, um zu sehen, ob der Wind von
der Stadt kommt, oder von außen. Die Schildwa-
chen selber anbelangend, will man bedacht sein, lauter
Schielende anzustellen, deren
Augen dergestalt divergiren,
daß sie zu gleicher Zeit die
2 entgegengesetzten Seiten
bestreichen können.
Fig. 4 ist der verbesserte
Delvigne'sche Carabiner mit
Bajonett, gleichfalls von
Nr. Baudequin. — Bor der
Hand sind 30,000 Stücke in
Arbeit.
Es war 1 Uhr 23 Mi-
nuten, als ich mit den Her-
zogen von Saumur und
Chartres den Salon verließ.
Thiers eilte mir nach, und
sagte, indem er mir auf die
Achsel klopfte: .Vielleicht
können Sie das Ding für
die keuilles valavtes brau-
chm. — Grüßen Sie mir
die Herren Braun und Schnei-
der. Gute Nacht!"
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Politische Correspondenz.
schnitten die übelsten Gesichter. Nur unser Wetterprophet
schwitzte oder gab vor zu schwitzen. In seinem Schlaf- und
Arbeitszimmer durfte nicht geheizt werden, und bei seinen tägli-
chen Spaziergängen, die Ludwigsstraße auf und nieder, suchte
er die Schattenseite, wie er im April 1844 stets die Sonnenseite
gesucht hatte. Er trug ein leichtes Sommerfräckchen, dünne
Nankinghosen, Schuhe und seidene Strümpfe, die bebrillte Nase
hoch in die Luft gesteckt und den Hut unter dem Arme, wäh-
rend er den angeblichen Schweiß mit dem Taschentuche von der
Stirn wischte.
„Aber Mann Gottes!" sagte einmal ein Bekannter zu
ihm, „wie können Sie es nur so aushalten?"
„Ja, das sage ich selbst," antwortete gelassen unser Wetter-
prophet, „es ist, nämlich für den Winter, wo man an derglei-
chen nicht gewöhnt ist, so unausstehlich schwül, daß man kaum
die Kleider auf dem Leibe dulden mag," und er pustete auf's
schrecklichste und wischte sich den Schweiß von dem ganz blau
gefrornen Gesichte.
Unser Wetterprophet beweist, daß es auch jetzt noch Mär-
tyrer gibt, die um ihres Glaubens willen allen Mühsalm,
Schmerzen und Peinigungen mit dem unerschütterlichsten Helden-
muthe Trotz zu bieten wisien.
Hermann Marggrass.
Politische Correspondenz.
Paris, den 1. Juli 1848. Sie haben ver-
muthlich schon längst gelesen, daß die Armimng un-
serer Forts nunmehr nach heftigen Debatten geneh-
migt, und bereits die Summen hiesür angewiesen sind; aber die Art
der Geschütze selber, die aus der Menge der zur Probe gestellten Mo-
delle, die von Toulon, Arras, Brest und weiß Gott woher, eingesandt
kamen, gewählt wurde, ist Ihnen ohne Zweifel noch fremd. Ich be-
eile mich, Sie davon in Kenntniß zu setzen.
Gestern Abend in Gesellschaft bei General Laidet kam T hier-
auf mich zu und sagte: .Sehen Sie Freund, wir haben jetzt ge-
funden, was wir längst gesucht. Betrachten Sie sich einmal dieß
Blättchen." Dabei langte er au« seinem Portefeuille, da« er be-
ständig unter dem Arme trägt, eine kleine Zeichnung hervor, die er
mir nachher überließ, und die ich Ihnen hier beilege. Er erklärte
mir nun Alles ganz ausführlich — ich gebe es kurz wieder.
Es ist dieß die Erfindung von Nr. Lauäeguiv, früher in der
großen Gießerei von Nr. Halette in Arras beschäftigt.
Fig. 1 stellt die allgemeine Form de« Geschützes dar. Schon
beim ersten Anblick fällt jedem da« Leichtbewegliche in der Construc-
tion auf. Man braucht es nur hinten oder vome an den Seiten-
ringen auszuheben, um es schnell vom Platze und in jede beliebige
Richtung zu bringen. Dieß ist indessen gar nicht nothwendig, da
die Pidce beständig auf einem Flecke stehen bleiben soll, und vorne
und hinten losgeht, und deßhalb 2 Kammern und 2 Zündlöcher hat.
In dieser Form werden nun die verschiedenen Kaliber angesertigt,
(nämlich 800 Stück Sechsunddreißigpfünder, 1200 Stück Bierzig-
pfünder und 600 Achtundvierzigpfünder) und dergestalt auf den
Wällen Placirt, daß die eine vordere Seite, die mit dem Wappen
von Paris und der Inschrift: kour l'douneur et la gloire de la
patrie geziert ist, nach dem Lande zu gerichtet wird, und die Rück-
seite mit dem Wappen von Frankreich und der Devise: dedie ä la
capitale Adele, in die Stadt hinein sieht. Bereits wurden mit der
einen neuen fertigen Piece (die jetzt auf dem Fort von Jvry steht)
in Arras Proben gemacht, die nach Urtheil von Sachverständigen
äußerst genügend ausgefallen sind.
Fig. 2 giebt diese Pisce im Grundplan.
Fig. 3 ist das Modell eines Schilderhäuschens,
wa« vorne und hinten osten steht und wohlweislich
2 Windfähnlein hat, um zu sehen, ob der Wind von
der Stadt kommt, oder von außen. Die Schildwa-
chen selber anbelangend, will man bedacht sein, lauter
Schielende anzustellen, deren
Augen dergestalt divergiren,
daß sie zu gleicher Zeit die
2 entgegengesetzten Seiten
bestreichen können.
Fig. 4 ist der verbesserte
Delvigne'sche Carabiner mit
Bajonett, gleichfalls von
Nr. Baudequin. — Bor der
Hand sind 30,000 Stücke in
Arbeit.
Es war 1 Uhr 23 Mi-
nuten, als ich mit den Her-
zogen von Saumur und
Chartres den Salon verließ.
Thiers eilte mir nach, und
sagte, indem er mir auf die
Achsel klopfte: .Vielleicht
können Sie das Ding für
die keuilles valavtes brau-
chm. — Grüßen Sie mir
die Herren Braun und Schnei-
der. Gute Nacht!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Propheten" "Politische Correspondenz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.17, S.135
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg