Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
171

Die Königin.

Gegend durchsuchen, aber vergeblich; die Verschwundenen kamen
nicht zurück, und seit jenem Tage sah man Mutter Lis b' nie
mehr in Lönborg.

Man kann sich wohl denken, daß die Eltern über dieses
Ereigniß. das sie so unerwartet überraschte, in tiefe Trauer ver-
sanken. Der Baron erwartete in den ersten vier Tagen jeden
Augenblick die Rückkehr der Kinder; er konnte sich gar nicht
denken, daß sie für immer fortbleiben sollten. Die Baronesse
verzweifelte, den» Ci li war ja ihr einiges Kind, ihre Freude
und ihr Stolz, sie war ihr Alles. — Auf diese Weise vergin-
gen mehrere Jahre; die Zeit minderte wohl den Schmerz
der Eltern, brachte ihn aber nicht in Vergessenheit.

Es war an einem späten Sommerabende, während der
Baron und seine Gemahlin in Garten sich ergingen, als auf
einmal im Hofe ein großer Lärm entstand. Ein Diener des
Barons stürzte auf ihn zu und blieb mit dem athemlose» Aus-
rufe : „ Gnädiger Herr! Karo ist zurück gekommen! “ vor ihm stehen.
Der Baron wußte Anfangs nicht, was der Diener damit meinte,
aber in demselben Augenblicke fuhr ein großer, graugefieckter
Hund mit freudigem Bellen auf ihn zu; und siehe! — es war
der Hund, den Theodor abgerichtct hatte und der mit ihm
verschwunden war. Eine frohe Hoffnung durchleuchtete die
Seele der Baroneffe, sie nahm die Rückkehr des Thieres als
ein Zeichen an, daß auch sein Herr in der Nähe sein müsse.
Nachdem der Gutsherr den Diener ausgefragt, wann und von
welcher Seite Karo gekommen sei, ließ er alle Leute des Hofes
zu Pferde steigen, ritt selbst an der Spitze voraus, und dann
ging es voller Eile über die Haide hin, um wo möglich den
Flüchtlingen auf die Spur zu kommen. Der Gutsherr befeh-
ligte die erste Hälfte und zog gegen Vostrup hin; die zweite
Abtheilung von einem alten, verabschiedeten Trompeter ange-
führt, der auf Lönborg das Gnadenbrod erhielt, gen Tann und
Skjärnaa. Diesem letzten Trupp folgte Karo als Wegweiser.

Schon brach die Nacht herein, die Luft war von der
Hitze des vorhergehenden Tages noch ziemlich warm, und die
Blumen beugten ihre durstigen Häupter zur Erde und schlürf-
ten den fallenden Thau. Kaum vermochten die Eilenden zwei
Schritte vorauszusehen, so dick war der Nebel, der von Feld
und Moos aufdampfte, die Rohrdommel sang unten im Schilfe
bei Skjärnaa, und die Fledermaus flatterte lustig von einer
Stelle zur andern.

Unten in einem Hohlwege bei Tarm lagen vier baum-
starke, breitschulterige Männer und hielten ihre Abendmahlzeit.
Sie hatten eben ein Lamm geschlachtet und brieten es an einem
Torffeuer, das in dunkelrothen Flammen emporloderte Man
hatte Mühe, aus dem Gespräche, das diese Leute führten, klug
zu werden; sie sprachen eine fremde, aber volltönende Sprache,

und begleiteten dieselbe mit lebhaften Gcberden. Als das Mahl
geendet war, steckten sie die Reste zu sich, jeder nahm seine
Thonpfeife hervor, stopfte und zündete sie an, und dann streck-
ten sie sich gemächlich auf der Erde aus. Es verging wohl
eine Stunde, ohne daß ein Wort gesprochen ward. Jeder schien
seinen eigenen Betrachtungen überlaffen. Plötzlich ertönte in
der Nähe Hundegebell, die Männer stutzten, erhoben die Köpfe
und flohen mit gewaltigen Sätzen tiefer in die Haide hinein; 1
aber die Verfolger waren ihnen auf den Fersen, der alte Trom- !
peter hatte sie gesehen, bevor sie sich flüchteten, er setzte ihnen
nach und holte den Einen von den Männern ein, der hinter
den drei Andern zurückgeblieben war. Mit einem jubelnden
Freudengeschrei band der alte Kriegsmann Hände und Füße des
Unbekannten zusammen, während Karo's klagendes Gebell kund
gab, daß sie den in ihre Gewalt bekamen, den sie gesucht hat-
ten. Der Gefangene ward gebunden auf ein Pferd gesetzt, des
Trompeters Getreue umringten ihn, und so ging es über Stock
und Stein wieder nach Lönborg zurück.

Der Baron war bereits heimgckommcn und ließ den Gc-
sangenen gleich vor sich führen. Es war ein junger Mann
mit kohlschwarzen, gekräuselten Haaren und feurigen, glänzenden
Augen. Man konnte sich keine schönere Figur, noch ein rich-
tigeres Ebenmaaß denken, als das, welches man hier sah; der
bloße Anblick dieses Menschen war ausfallend und eindrucksvoll.

— Hjelm stutzte, er betrachtete ihn fest und steif, als ob er
seinen eigenen Augen nicht traue. Die Baroneffe warf nur ei-
nen Blick auf ihn, und stieß dann einen Schrei aus, — es
war Theodor, der vor ihr stand! In einen Winkel gedrückt
suchte er, lautlos, ihren Blicken zu entgehen, und that, als ob
er die Ehrennamen, mit denen ihn sein Pflegevater überhäufte,
nicht hörte. Wenn er ja einmal emporschaute, so fuhren seine
Augen schnell und scheu von einem Gegenstände im Zimmer
zum andern. Er glich einem gefangenen Wilden, der zum Er-
stenmal in eine europäische Wohnung kommt. Vergeblich fragte
der Baron nach Cili, Theodor biß die Lippen zusammen
und schwieg; endlich ging die Baroneffe zu ihm hin, legte ihre
Hand auf seinen Arm und fragte mit dem freundlichsten Tone :
„Warum schweigst du? Wo ist Cili? Sprich, mein Sohn!
ich bitte dich darum."

Er schüttelte den Kopf und erwiderte nichts.

„Theodor! fuhr sie meinend fort, „vergiltst du auf diese
Weise die Liebe deiner Pflegeeltern? Siehst du meine Angst
nicht? Wo ist meine Tochter?"

Diese Worte schienen ihn plötzlich zu wecken, er erhob das j
gebeugte Haupt, betrachtete die Baroneffe eine Zcitlang mit !
glänzenden Augen und rief dann mit tiefer uub hohler Betonung:
„Cili? — Ich weiß nichts von ihr, ich habe mich nie um
Andere bekümmert."

22*
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen