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Tie Stechpalmlise.
Abends unser Gespräch auf das Begebniß in Tirol wendete.
Ich werde diese Mittheilungen mit seinen eigenen Worten dem
| Leser übergeben.
„Ja wohl!" sagte er traurig, „ich bin Ihnen noch immer
die Erklärung schuldig geblieben über diese ganz eigene Ge-
schichte. Sie sollen aber dafür nun weit mehr erfahren, als
ich Ihnen damals hätte mittheilen können. Mein Herz blutet
bei dieser Erinnerung, doch es mag bluten! — Sie erinnern
sich wohl jenes unglücklichen Freischaarenzuges unter Ochsen-
bein? Es war um dieselbe Zeit, als ich meine Heimath floh
und nach Tirol reiste. Ich durchstreifte die Thäler und be-
stieg die Höhen der Berge, die alte Fröhlichkeit kehrte wieder,
es war mir so >vohl in diesem Ländchen, als wäre es meine
Heimath. Ta kam ich eines Abends, ein müder Wanderer,
zu einem einzelstehenden Bauernhöfe; lustig klang darin die
Zither und zwei weiche Mädchenstimmen tönten lieblich durch
die kleinen beleuchteten Fenster der Stube. Ich lauschte lange
einer bekannten Melodie, es war mir als ftäitb’ ich auf den
grünen Halden der Berneralmen — der Hos wurde zur ein-
samen Almhütte, und drinnen saß der Hirtenknabe und die
' Sennin, sie sangen das Lied von ihrer Liebe. Ich suchte
in meiner Tasche nach einem Borwande, einzutreten und öffnete,
eine Cigarre in der Hand, die Thiire. Ter lange schmale
Hausgang war schwach erhellt vom Feuer, das munter am
Küchenherde prasselte, ich ging dem Lichte nach; ein schönes
Mädchen von schlankem Wüchse stand am niedern Herde, be-
schäftigt, die Feuerbrände abzulöschen, um das dampfende
Mahl über die Glut zu setzen.
Ich bot einen guten Abend, und entschuldigte mein Ein-
treten, indem ich die Cigarre an den glimmenden Kohlen an-
zünden wollte. Sie grüßte freundlich entgegen und gab mir
einen brennenden Span, indem sie meinte, es ginge besser
so als mit den riechenden Kohlen. Sie war freundlich und
einnehmend, wer hätte da nicht gerne des längeren verweilt?
Es entspann sich ein Gespräch, in dem ich erfuhr, daß sie
Liese heiße, wofür auch ich ihr meinen Namen bekennen
mußte, daß die beiden Sängerinnen ihre Schwestern, daß sie
alle drei morgen in die Stadt zur Kirche gingen, und mehr
. noch von derlei Tingen, die man einem Fremden anvertrauen
darf. Ter alte Bater, ein freundlicher graubärtiger Mann,
der bald darauf in die Küche trat, lud mich, nachdem ich
ihm bereitwillig von meiner heutigen Wanderung erzählt
hatte, ein, beim Abendessen mitzuhalten, indem ich wohl bei
Appetit sein dürfte nach einem so weiten Weg. Ich nahm
es dankbar an und er führte mich in die Stube. Tie Mäd-
chen verstummten bei meinem Erscheinen und der Zitherspieler
schlug ein paar gleichgültige Akkorde an. Ter Alte sagte,
daß ich sein Gast wäre und von einem weiten Weg herkomme
— ich mußte aus Neue meine ganze Wanderung erzählen. Ich
, bat hierauf die Mädchen, im Singen fortzufahren, sie lachten
und meinten, es sei nur so ein Geschrei gewesen, sie könnten
nicht singen, aber Liese, die könne schon mehr und noch dazu
Lieder aus der Stadt. Während dieses Gespräches kam Liese
und setzte erröthend den Pfannenknecht auf den Tisch, das aus-
gekühte Muß daraufstellend. Es wurde ein Vaterunser gebetet
und man ging zu Tische; unter munterem Gespräche wurde
der Maisbrei verzehrt und die frischgemolkene Milch, die da-
neben stand. Die Mädchen meinten lachend, die Stadtherren
verstünden nicht Muß zu essen, ich machte mir nichts daraus
und lachte mit. Nach dem Essen klang wieder lustig die Zither,
und der Alte erlaubte uns sogar zu tanzen. Ich ließ vom
nahegclegenen Wirthshause einen Krug Wein herbeischaffcn und
wir lachten und tanzten lustig und guter Dinge bis spät in
die Nacht. Lieschen, die nach und nach die Schüchternheit
ablegte, sang mit unvergleichlich wohltönender Stimme manches
Lied aus den neueren deutschen Dichtern zu meinem nicht ge-
ringen Erstaunen. Endlich mahnte der Vater, daß es Zeit sei
ins Bett zu gehen, er ließ mich nicht fort, und ich schlief,
meinen getreuen Hund au der Seite, ganz königlich im duftenden
Heu des Stadels — arkadische Träume umgaukelten mich, die
Nymphen sangen an Quellen und in den Feldern; eine gefiel
mir vor allen, sie glich Lieschen, ich wollte sie erreichen, sie
saß auf einem Baumstümpfe, da kam ein garstiger Faun mit
langer krummer Nase, und führte mir sie weg; ich erwachte.
Lieschen stand vor mir im feiertäglichen Gewände, sie bot
mir lachend einen guten Morgen, es war bereits Heller Tag.
Nach dem Frühstücken begleitete ich die Mädchen zur Stadt
und nahm an der Kirchthüre Abschied, nachdem ich das Ver-
sprechen gegeben, sie bald wieder zu besuchen. Es dauerte
nicht lange, und ich war täglicher Gast, trank mit Lieschen
meinen Kaffee und quartierte mich endlich in einem zum Hofe
gehörigen unbewohnten Häuschen förmlich ein. Ich wußte
mich bei den Leuten gerngesehen zu machen, die Liebe zu
Lieschen wuchs mit jedem Tage, und auch das Mädchen war
mir herzlich zugethan, mehr als ich glaubte. Des Abends
gingen wir traulich Arm in Arm zur nahen Quelle; wo die
dunklen Fichten ihre Zweige liebend ineinander verschränkten,
dort war eine weiche Movsbank. Da saßen wir denn von
der Zukunft träumend, wir bauten uns auf ländlich stillen
Halden eine friedliche Hütte für uns und unsere Liebe. Oft
waren wir recht kindisch, ich trank knieend aus ihrer niedlichen
kleinen Hand, sie bespritzte mich mit Wasser, und so kehrten
wir singend und lachend zum Hofe zurück. An einer jener Fichten
können sie vielleicht heute noch die Anfangsbuchstaben unserer
Namen lesen, wenn nicht auch sie unter dem Streiche der Axt
gefallen. Es war ein idyllisches Leben, um mich und in mir
nichts als Poesie, ich war der seligste Mensch auf Erden.
Lieschen hatte herrliche Anlagen, und meine Mühe blieb nicht
fruchtlos, sie war sehr bald, wenn sie gleich nicht französisch
zu plappern wußte, und auch nicht auf die feine Etikette der
Salons sich verstand, gebildeter als irgend ein Stadtfräulein,
das Romane liest und sich den Hof machen läßt.
Doch dieses trauliche Zusammensein sollte nicht ungestört
bleiben. Nach vielen Wochen meiner romantischen Zurückgezo-
genheit machte ein hämischer Zufall dir Leute auf meine Reli-
gion aufmerksam; fie erfuhren ich sei lutherisch. Ich läugnete
es nicht und für mich war des Bleibens nicht länger. Die
ganze Gegend gerieth in Aufruhr, ja man wollte förmlich auf
Tie Stechpalmlise.
Abends unser Gespräch auf das Begebniß in Tirol wendete.
Ich werde diese Mittheilungen mit seinen eigenen Worten dem
| Leser übergeben.
„Ja wohl!" sagte er traurig, „ich bin Ihnen noch immer
die Erklärung schuldig geblieben über diese ganz eigene Ge-
schichte. Sie sollen aber dafür nun weit mehr erfahren, als
ich Ihnen damals hätte mittheilen können. Mein Herz blutet
bei dieser Erinnerung, doch es mag bluten! — Sie erinnern
sich wohl jenes unglücklichen Freischaarenzuges unter Ochsen-
bein? Es war um dieselbe Zeit, als ich meine Heimath floh
und nach Tirol reiste. Ich durchstreifte die Thäler und be-
stieg die Höhen der Berge, die alte Fröhlichkeit kehrte wieder,
es war mir so >vohl in diesem Ländchen, als wäre es meine
Heimath. Ta kam ich eines Abends, ein müder Wanderer,
zu einem einzelstehenden Bauernhöfe; lustig klang darin die
Zither und zwei weiche Mädchenstimmen tönten lieblich durch
die kleinen beleuchteten Fenster der Stube. Ich lauschte lange
einer bekannten Melodie, es war mir als ftäitb’ ich auf den
grünen Halden der Berneralmen — der Hos wurde zur ein-
samen Almhütte, und drinnen saß der Hirtenknabe und die
' Sennin, sie sangen das Lied von ihrer Liebe. Ich suchte
in meiner Tasche nach einem Borwande, einzutreten und öffnete,
eine Cigarre in der Hand, die Thiire. Ter lange schmale
Hausgang war schwach erhellt vom Feuer, das munter am
Küchenherde prasselte, ich ging dem Lichte nach; ein schönes
Mädchen von schlankem Wüchse stand am niedern Herde, be-
schäftigt, die Feuerbrände abzulöschen, um das dampfende
Mahl über die Glut zu setzen.
Ich bot einen guten Abend, und entschuldigte mein Ein-
treten, indem ich die Cigarre an den glimmenden Kohlen an-
zünden wollte. Sie grüßte freundlich entgegen und gab mir
einen brennenden Span, indem sie meinte, es ginge besser
so als mit den riechenden Kohlen. Sie war freundlich und
einnehmend, wer hätte da nicht gerne des längeren verweilt?
Es entspann sich ein Gespräch, in dem ich erfuhr, daß sie
Liese heiße, wofür auch ich ihr meinen Namen bekennen
mußte, daß die beiden Sängerinnen ihre Schwestern, daß sie
alle drei morgen in die Stadt zur Kirche gingen, und mehr
. noch von derlei Tingen, die man einem Fremden anvertrauen
darf. Ter alte Bater, ein freundlicher graubärtiger Mann,
der bald darauf in die Küche trat, lud mich, nachdem ich
ihm bereitwillig von meiner heutigen Wanderung erzählt
hatte, ein, beim Abendessen mitzuhalten, indem ich wohl bei
Appetit sein dürfte nach einem so weiten Weg. Ich nahm
es dankbar an und er führte mich in die Stube. Tie Mäd-
chen verstummten bei meinem Erscheinen und der Zitherspieler
schlug ein paar gleichgültige Akkorde an. Ter Alte sagte,
daß ich sein Gast wäre und von einem weiten Weg herkomme
— ich mußte aus Neue meine ganze Wanderung erzählen. Ich
, bat hierauf die Mädchen, im Singen fortzufahren, sie lachten
und meinten, es sei nur so ein Geschrei gewesen, sie könnten
nicht singen, aber Liese, die könne schon mehr und noch dazu
Lieder aus der Stadt. Während dieses Gespräches kam Liese
und setzte erröthend den Pfannenknecht auf den Tisch, das aus-
gekühte Muß daraufstellend. Es wurde ein Vaterunser gebetet
und man ging zu Tische; unter munterem Gespräche wurde
der Maisbrei verzehrt und die frischgemolkene Milch, die da-
neben stand. Die Mädchen meinten lachend, die Stadtherren
verstünden nicht Muß zu essen, ich machte mir nichts daraus
und lachte mit. Nach dem Essen klang wieder lustig die Zither,
und der Alte erlaubte uns sogar zu tanzen. Ich ließ vom
nahegclegenen Wirthshause einen Krug Wein herbeischaffcn und
wir lachten und tanzten lustig und guter Dinge bis spät in
die Nacht. Lieschen, die nach und nach die Schüchternheit
ablegte, sang mit unvergleichlich wohltönender Stimme manches
Lied aus den neueren deutschen Dichtern zu meinem nicht ge-
ringen Erstaunen. Endlich mahnte der Vater, daß es Zeit sei
ins Bett zu gehen, er ließ mich nicht fort, und ich schlief,
meinen getreuen Hund au der Seite, ganz königlich im duftenden
Heu des Stadels — arkadische Träume umgaukelten mich, die
Nymphen sangen an Quellen und in den Feldern; eine gefiel
mir vor allen, sie glich Lieschen, ich wollte sie erreichen, sie
saß auf einem Baumstümpfe, da kam ein garstiger Faun mit
langer krummer Nase, und führte mir sie weg; ich erwachte.
Lieschen stand vor mir im feiertäglichen Gewände, sie bot
mir lachend einen guten Morgen, es war bereits Heller Tag.
Nach dem Frühstücken begleitete ich die Mädchen zur Stadt
und nahm an der Kirchthüre Abschied, nachdem ich das Ver-
sprechen gegeben, sie bald wieder zu besuchen. Es dauerte
nicht lange, und ich war täglicher Gast, trank mit Lieschen
meinen Kaffee und quartierte mich endlich in einem zum Hofe
gehörigen unbewohnten Häuschen förmlich ein. Ich wußte
mich bei den Leuten gerngesehen zu machen, die Liebe zu
Lieschen wuchs mit jedem Tage, und auch das Mädchen war
mir herzlich zugethan, mehr als ich glaubte. Des Abends
gingen wir traulich Arm in Arm zur nahen Quelle; wo die
dunklen Fichten ihre Zweige liebend ineinander verschränkten,
dort war eine weiche Movsbank. Da saßen wir denn von
der Zukunft träumend, wir bauten uns auf ländlich stillen
Halden eine friedliche Hütte für uns und unsere Liebe. Oft
waren wir recht kindisch, ich trank knieend aus ihrer niedlichen
kleinen Hand, sie bespritzte mich mit Wasser, und so kehrten
wir singend und lachend zum Hofe zurück. An einer jener Fichten
können sie vielleicht heute noch die Anfangsbuchstaben unserer
Namen lesen, wenn nicht auch sie unter dem Streiche der Axt
gefallen. Es war ein idyllisches Leben, um mich und in mir
nichts als Poesie, ich war der seligste Mensch auf Erden.
Lieschen hatte herrliche Anlagen, und meine Mühe blieb nicht
fruchtlos, sie war sehr bald, wenn sie gleich nicht französisch
zu plappern wußte, und auch nicht auf die feine Etikette der
Salons sich verstand, gebildeter als irgend ein Stadtfräulein,
das Romane liest und sich den Hof machen läßt.
Doch dieses trauliche Zusammensein sollte nicht ungestört
bleiben. Nach vielen Wochen meiner romantischen Zurückgezo-
genheit machte ein hämischer Zufall dir Leute auf meine Reli-
gion aufmerksam; fie erfuhren ich sei lutherisch. Ich läugnete
es nicht und für mich war des Bleibens nicht länger. Die
ganze Gegend gerieth in Aufruhr, ja man wollte förmlich auf