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Fliegende Blätter — 11.1850 (Nr. 241-264)

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Nr. 247
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Einer

wohlgepflegtes Kapitälchen zum „gemachten Manne." Es ließ
ihm auch gut, daß er vom „historischen Verein zur Erhaltung
alter Denkmäler" zum Ehrenmitglied ernannt worden war, weil
er den grauen Stadtthurm von X. neu verweißen ließ und daß
er als Vorstand des Casino noch immer den Cotillon mit Grazie
vortanzte. Ucberdies war er so glücklich gewesen unter mehreren
Malen sich selbst und die ganze Stadt L. dem Landesvater und
andern erlauchten Gliedern des regierenden Hauses zu Füßen
legen zu dürfen und also auch Allerhöchsten Ortes in guter
Erinnerung zu stehen.

Kurz — Herr Fischer war ganz der rechte Manir.

Zur Zeit, als er unsre Leser ihm vorstellen zu dürfen so
steundlich, ja zuvorkommend erlaubt, zeigte sich an Herrn Fischer
noch eine weitere, treffliche Eigenschaft, die wir um so weniger
übersehen können, da sie für die wahrheitstreue Skizze, welche
wir über ihn und sein Wirken geben möchten, von wesentlichem
Belange ist — Herr Fischer war auch Vater einer sehr hüb-
schen, neunzehnjährigen Tochter.

Diese verdienstliche Seite fand ihre volle Würdigung beson-
ders in der jüngern männlichen Generation und sicherte somit
auch nach dieser bedrohlichen Richtung den Conservatismus
unsers Mannes. Gleich ihrer Pattonin, der canonisirten Köni-
gin der Longobarvcn, bekehrte Theodolinde alle Lang- und Kurz-
bärte von X. zum rechten Glauben, zum Glauben an ihre
sanften Augen, ihre reiche Mitgift und an die Vortrefflichkeit
des Amtsbürgermeisters Fischer. Selbst Märtyrer fehlten diesem
Bekenntnisse nicht, Schwergeprüfte, voll heiliger Schwärmerei —
jene ungezählt, die bei den Cultusübungen der Fensterparaden,
der Bälle und der Promenadebegegnungen ihre Stiefelsohlen,
Lungen und Patenthüte opferten.

Gerade in den Tagen, wo wir uns zu vorliegendem Umrisse
den Stift zu spitzen anfingcn, durchlitt und durchstritt der
Gläubigste von Theodolindens Jüngern ein Martyrium, das
nun schon zum zweiten Male dem Schuldlosen auferlegt worden
war. Es darf diese Legende unfern Lesern umsoweniger vor-
enthalten werden, als gewiß manche andächtige Mädchenseele
und manches zerknirschte Rechtspraftikanten - Herz eine heilsame
Lehre daraus zu ziehen weiß.

Herrn Fischers Tochter, in den Mauern von X. als beschei-
denes Monatröschen entknospet, sollte an der Sonne des Residenz-
lebens zur königlichen Centifolie erblühen und wurde deßhalb
— zwei Jährchen vor dem Beginn dieser Leidensgeschichte —
in das üppige Erdreick der Landeshauptstadt verpflanzt, um
seiner Zeit in entfalteter Pracht wieder heimzukehrcn zu den
väterlichen Krautbeeten. Der Gärtnerdienst bei diesem Treib-
hausexperiment wurde wie billig einer Tante übettragen. Diese
Tante, die Frau Steuerraths - Wittwe, war die Begründerin aller
Cultur unter dem schönen Geschlechte von X. Jedes fünfzehn-
jährige Mädchen, das auf breiten Füßen schlenkerte, lediglich
im Jxixcrx Idiom sich verständigen und keinem jungen Manne
in's Gesicht sehen konnte, wurde der Tante übergeben und nach !
Jahresfrist kam es zurück im Sylphidcnschritt, mit einer stan-
zösischen Grammatik und mit aufgewecktem Blicke, sicher im
Suchen wie im Finden. Die Tante, mit Jedermann in X.

für Alle. 51

verwandt, war cs um so mehr mit Herrn Fischer und um so
gelungener mußte Theodolindens Ueberarbeitung erwartet wer-
den. Wenige Monate fehlten noch, in welchen die letzten Fein-
heiten am Engelsbilde herausgefühlt werden sollten, als stich
unerwartet ein Zwischenfall einstellte, den die Tante in ihren
Berechnungen nicht mit ausgenommen hatte. Der Engel Theo-
dolinde verfing sich in einer irdischen Verliebniß — in einer
Liebe ohne alle Lebensart, ohne Phrase und ohne Raison, eine
Naturerscheinung, wie sie nur bei einer Kleinstädterin von sieb-
zehn Jahren vorkömmt — Theodolinde verliebte sich in einen
gehaltlosen Rechtspraftikanten. Dieser ihr „Gegenstand", wie
ihn die Tante bezeichnete, wahrscheinlich um das Menschenthum
dieser Klaffe einem gerechten Zweifel heimzugeben, war der
Zimmerherr der Frau Steuerräthin, welche in ihrem Erziehungs-
plane den Umgang mit dem andern Geschlechte keineswegs aus-
geschlossen wissen wollte und durch Aufnahme von einem bis
zwei männlicher Hausgenoffen dem Bedarf solcher Bildungs-
behelfe für ihre Zöglinge nicht ohne ökonomische Seitenblicke
zu genügen suchte. Sie wählte hiezu steilich mit großer Scharf-
I sichtigkeit sogenannte ungefährliche Individuen, und meinte
sie je an denselben noch einige Empfänglichkeit für die Anzieh-
ungskräfte ihres Geschlechtes wahrzunchmen, so war sie auch
sicher dem elektrischen Strahle eine unschädliche Richtung zu
geben, — nämlich auf ihre eigene Person. Die Tante
Steuerräthin war eine Wittwe zwischen 35 und 45 — unbe-
zweifelhaft im geeignetsten Alter zur Ueberwachung junger
Mädchen, aber ebenso wenig geeigenschaftet zur Hausstau jun-
ger Praftikanten. Als Herr Dorn, der gehaltlose Staatsdienst-
adspirant, bei ihr das kleine Hinterstübchen micthete, entsprach
seine.ganze Erscheinung so vollkommen ihren Erfahrungen über
unbedenkliche Zimmerherrn, daß sie ihm noch am ersten Abende
den Hausschlüssel durch Theodolindcn einhändigen ließ, die sich
dabei überzeugen konnte, daß die Welt schon weggegeben war,
als Herr Dorn seinen Antheil an ihren Gütern begehrte. Die
Nuge Tante wußte, daß einem verständigen Mädchen keine
Herzensnoth drohe, wenn cs ein paar Stiefel, eine lange
Tabakspfeife, einen Koffer mit Büchern und ein Uhrkissen in
Pantoffelform als die omnia sua eines jungen Mannes vor
sich sieht. Herr Dorn wandelte auch in unscheinbarster Gestalt
lange Wochen stumin und unangesprochen durch das häusliche
Sein der Wittwe und ihrer Zöglingin; — viermal täglich
zog er vorüber, grüßte höflich, sperrte sich in seine Kammer
und nur die Magd wußte von ihm zu berichten, daß er de-
Nachts nicht selten mit lautem Selbstgespräch sie am Einschla-
fen hindere. Die Magd hielt ihn deßhalb für einen Narren,
die Wittwe einstweilen für halb verrückt, und — behorchte ihn.
Der Zimmerherr deklamirte Verse. Schätzbare Entdeckung! —
Schönrednerische Einflüsse erweisen sich wirksamst bei Mädchen
mit Provinzialismen in Sprache und Begriffen, — der Zim-
merherr konnte verwendet werden als Vorleser. Der Herr
Doktor — Dorn hatte ein paar hundert Gulden zuviel gehabt
und sich dafür den Gradus als Einpfchlungsmittel erdisputirt,
— wurde sofort mittelst der Bitte, der Hausstau eine Feder
zu schneiden, in deren Boudoir gelockt, und am dritten Abende

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