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Einer für Alle.

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Warum mir's nicht beifiel? Wenn ein Mensch gar nicht mehr
weiß, wie er heißen soll, so heißt er Herr Fischer. Das gleiche
gilt von seinem Nebenmenschen. Sie kennen ihn doch, unfern
Gegenstand, den einzigen Herrn Fischer? Er steht ganz gewiß
zu Ihnen in irgend einer Beziehung — er grüßt Sie immer
sehr zuneigungsvoll, er hat eine ausgebreitete leibliche und
geistige Verwandtschaft — sinb Sie sein Vetter? Im
äußersten Falle haben Sie bestimmt schon mehrere Bauchredner
von ihm sprechen gehört.

Herr Fischer also — Ihr alter Bekannter — lebt in einer
deutschen Stadt, die fich immerhin ganz anständig als eine
solche durchzubringen weiß, wenn auch an allzulangen Winter-
abenden gegen halb neun Uhr ihre Laternen manchmal auszu-
löschen pflegen. Sie sind unser Stolz im deutschen Vaterlande
diese Städte, in deren Budget der Vollmond so praktisch und
doch nicht ohne einen Zug von Schwärmerei in Anschlag kömmt.
Es ist wahr, ihr Straßenpflaster bringt vielen Kummer über
empfindsame Seelen mit Hühneraugen, ihre Billards vereiteln
durch Einseitigkeiten und Wankelmuth die Triumphe der ersten
Spieler, im Durchschnitte ist ihr Bier sauer und wenn es ein-
mal im Preise aufschlägt, wird es nie mehr wohlfeiler; hin-
gegen gibt es dort die traulichsten Oefen, die nur im Anfänge
etwas rauchen und dann mit lieblichster Wärme vor einem all-
gemeinen Einftieren der Zustände retten; selbst im Castno gilt
das Gähnen für keine Unart, und Männer werden geboren wie
Herr Fischer.

Außer der treftlichen Eigenschaft, der Sohn seines Vaters
zu sein, wußte dieser unser Mann im Laufe der Zeit so viele
unverkennbare und gediegene Vorzüge in sich zu vereinen, daß
er in seiner obengedeuteten Vaterstadt der Erste ihrer Bürger
wurde, zumal da er der einzige in seiner Art war. In seinen
jungen Jahren hatte er seiner Frau Mutter und den frommen
Sitten von wie wir der Kürze halber den Schauplatz seines
Wirkens fürder bezeichnen wollen, so weit gettotzt, daß er in
die Fremde ging, ohne in sechs Wochen wieder umzukehren.
Bei seiner Zurückkunst nach mehr als zwei Jahren, brachte er
die ersten Vatermörder in seine Heimat, tanzte Ecossaisc und
blies Bertrands Abschied auf der Flöte. Bald ward er so der
Liebling aller Mädchen von Gefühl, die sich für fähig hielten,
einen so tiefgebildeten Mann für's Leben beglücken zu können.
Um diese Zeit erbte er ein altes Haus mit allen Möbeln vol- !
ler alter THaler von einer Muhme, die ihr lebelang gebetet,
gefaster und diese Thaler aufgesammclt hatte. Ihre Gunst ge-
wann Herr Fischer durch ein Amulet vom heiligen Antonius,
gut gegen Diebstahl und Raubmord, das er der Alten von
seiner Reise mitgebracht hatte. Jetzt wurde er auch für die
Mütter obiger gefühlvoller Töchter ein Gegenstand unzweifel-
hafter Aufmerksamkeiten, denen er nach allen Seiten verbind-
lichst entgegenkam. Unter innigem Bedauern nicht so vielen
Hoffnungen zugleich genügen zu können, heirathetc er die einzige
Tochter eines so eben verewigten reichen Wachsziehers, die in
Unschuld und Einfalt unter den Lebkuchen-Prinzessinnen ihres
Vaters ausgewachsen war, süß und altgebacken wie diese. Das
Geschäft des Schwiegerpapa selig ward versilbert, das alte Haus

der Muhme neu tapezirt, die Möbel polititt und bei einem Ein-
weihungsschmause überzeugte sich ein guter Theil der Bevöl-
kerung — Herrn Fischers nächste Verwandschaft -- von den
gediegenen Eigenschaften dieses Mannes, bei welchem unter
andern der ttesiliche Keller seines Herrn Vaters selig, der in
Weinen gemacht hatte, nicht übergangen wurde. In Erwägung
alles dessen beachteten von nun an auch die Männer von X.
diesen ihren Mitbürger mit gebührender Rücksicht, noch im sel-
ben Jahre ward er in den Gemeinderath gewählt und als im
nächsten Jahre der Bürgermeister es übersah, am Fastnacht-
montag den Magistrat auf ein Glas Punsch einzuladen, wurde
Herr Fischer auch Bürgermeister und das ist er noch heute.

Es konnte nicht fehlen, er blieb Cäsar, der erste zwar nicht
in Rom, doch im klassischen X., — vielleicht jenes barbarische
Dorf mit dessen Bürgermeister-Stelle der große Römer selbst
sich begnügt hätte für den Fall, daß es ihm mit der Weltstadt
nicht gelungen wäre. Im Karneval, nach seiner Erwählung
gab Herr Fischer seinen Collegen nicht nur einen Punsch, son-
dern ihren Frauen auch einen Hausball und nie war er so
unvorsichtig, diese Amtspflicht zu verabsäumen. Rach jedem
dritten Jahre wollte er seine Würde in die Hände der Bürger
zurückgeben; er wurde stets von neuem gewählt und nahm nur
an, weil er die für ben Augenblick eben dringlichen, lästigen
Geschäfte keinem seiner Mitbürger aufbürden mochte. Rach
dem neunten Jahre ttaf er enffchiedene Anstalten zum Rück-
tritt , aber die Jxixer gewannen ihr theures Haupt wieder,
indem sie Herrn Fischer zum Ersatzmann wählten bei der
Ständekammer ihres Vaterlandes. Sein Vorgänger war glück-
licherweise so klug nie zu sterben und auch nie der Regierung
unangenehm zu werden, so daß es den Wählern unsers Man-
nes unvcrwehrt blieb zu vermuthen, Herr Fischer würde die
Stadt X. noch weit wirksamer vertteten haben, wenn er auf
die Deputittenbank gelangt wäre. Beim Antritt seines acht-
zehnten Amtsjahres aber, als er bereits in einer Rede, bei
der kein Auge trocken blieb, vom Rath und Ausschuß Abschied
genommen hatte, wurde er durch den einstimmigen, stürmi-
schen Zuruf: „Bürgermeister bleiben!" bis zur Ohnmacht

gerührt und konnte solcher Liebe, solchem Verttauen nicht
widerstehen. Die Freunde führten den Tiefbewegten in den
Gasthof zum goldnen Kameel, ein Festessen hatte statt, und als
am andern Tage die Theilnchmer ihren Part abtragen wollten,
hörten sie, es sei alles berichtigt und fteute sich jeder nicht den
vergeudeten Champagner bezahlen und nicht Bürgermeister sein
zu müffen. Von diesem unvergeßlichen Tage an sträubte sich
Herr Fischer immer gelinder gegen seine wiederkehrende Erwäh-
lung und im Tagesgespräche der Jxixer fiel selbst die interes-
sante Frage weg: „Wer wird wohl diesmal Bürgermeister?"

Indessen — unser Mann füllte ganz seinen Platz aus und
weil er sein Ehrenamt ausübte, ohne sie mit Anftagen um
ihren Beirath zu belästigen, waren seine Committenten ebenso
beruhigt über das Wohl ihrer Stadt, als er selbst an Ansehen
und Bedeutung gewann. Seine Submiffion machte ihn zum
Muster eines guten Bürgers bei den Behörden, seine Grobheit
zum anerkannten „gestrengen Herrn" über den Plebs und sein
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