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Die F
€s war einmal eine junge
Königin. Die war so klug,
T daß selbst die Gymnasiasten
ihres Reiches dies anerkannten,
so schön, daß nicht einmal ihre
beste Freundin etwas an ihr aus-
zusetzen wußte, und so reich, daß
alle Männer sie heirathen wollten.
Die junge Königin war näm-
lich noch unvermählt und sie
konnte »nd konnte sich nicht ent-
schließen, aus der Schaar ihrer
Freier sich einen Gatten zu
wählen. Da aber ihre Räthe
und alle Großen des Reiches ihr
deßhalb keine Ruhe ließen, so erklärte sie endlich, denjenigen
heirathen zu wollen, welcher ihr unter drei Fragen eine vor-
legen könne, die zu beantworten sie nicht irr» Stande
sein tu erbe. Verboten seien nur jene Frageir, welche geeignet
Ls war dabei nicht ganz ehr-
lich zugegangen, und so trat gleich
als Erster der junge Herrscher
des mächtigen Nachbarstaates in
den Kreis.
Die Königin lächelte anmuthig,
bemühte sich, möglichst vortheil-
haft auszusehen, und mahnte —
da er nichts sagte, sondern sie
nur wie in seligem Traum an-
blickte — freundlich: „Rede!"
Ein heftiger Kampf spiegelte
sich in den Zügen des Jünglings
wieder, aber er schwieg und die
Königin mußte ihre Aufforderung
abermals ergehen lassen. — Da schöpfte er tief Athem und trat
einen Schritt vor; er war entschlossen und ruhig — ja er lächelte
sogar.
„Gestatte mir eine einzige Frage, holdeste der Frauen!"
Sie neigte das Haupt.
„Sage mir: Warum trägst Du — so reich, so schön, so klug!
warum trägst Du immer so geschmacklose Kleider?"
„Ah! Ah!" schrie die Königin auf und sprang empor, bleich
vor Schmerz und Entrüstung.
Sie sank auf den goldenen Thron zurück; nur ihr Schluchzen
unterbrach die athemlose Stille, die sich wie ein Leichentuch nieder-
gesenkt hatte; vergebens bemühten ihre Frauen sich um sie.
Die Räthe sahen sich gegenseitig an; aber die Frage war
erschienen, dynastische, religiöse und sittliche Gefühle zu verletzen;
aber diese schlöffen sich bei den (Dualitäten der Herren doch
natürlich von selbst aus.
Nun fängt die Geschichte an.
Der große Tag dieses Wettbewerbes war gekommen und
die junge Königin faß herrlich geschmückt und sehr vergnügt und
zuversichtlich — denn sie war ivirklich fabelhaft klug — auf
goldenem Thron unter seidenem Baldachin und wartete, wie sich
alles entwickeln würde.
Eine stattliche Zahl von Bewerbern war erschienen, und das
Loos hatte die Reihenfolge bestimmt, in welcher sie vortreten und
ihre Fragen stellen durften.
weder antidynastisch, noch unsittlich, noch irrreligiös, und außerdem
hätten sie von allen Anwesenden keinen lieber als Genialst der
Königin gesehen, als gerade den Urheber eben dieser Frage.
Also begannen sie leise zu lächeln, einer nach dem andern, und
fuhren fort zu schweigen und sich anzusehen.
„Willst Du mir nicht antworten?" fragte der junge König
die junge Königin.
Da erhob sie sich stolz und sprach: „Für solch' unglaubliche
Beleidigung habe ich keine Antwort!"
„Nicht?" jauchzte er, siog auf sie zu und warf sich vor ihr
nieder. „Nicht? Du hast keine Antwort für meine Frage?
Dann bist Du mein, Geliebte, mein, mein, mein!" Er küßte ihre
Die F
€s war einmal eine junge
Königin. Die war so klug,
T daß selbst die Gymnasiasten
ihres Reiches dies anerkannten,
so schön, daß nicht einmal ihre
beste Freundin etwas an ihr aus-
zusetzen wußte, und so reich, daß
alle Männer sie heirathen wollten.
Die junge Königin war näm-
lich noch unvermählt und sie
konnte »nd konnte sich nicht ent-
schließen, aus der Schaar ihrer
Freier sich einen Gatten zu
wählen. Da aber ihre Räthe
und alle Großen des Reiches ihr
deßhalb keine Ruhe ließen, so erklärte sie endlich, denjenigen
heirathen zu wollen, welcher ihr unter drei Fragen eine vor-
legen könne, die zu beantworten sie nicht irr» Stande
sein tu erbe. Verboten seien nur jene Frageir, welche geeignet
Ls war dabei nicht ganz ehr-
lich zugegangen, und so trat gleich
als Erster der junge Herrscher
des mächtigen Nachbarstaates in
den Kreis.
Die Königin lächelte anmuthig,
bemühte sich, möglichst vortheil-
haft auszusehen, und mahnte —
da er nichts sagte, sondern sie
nur wie in seligem Traum an-
blickte — freundlich: „Rede!"
Ein heftiger Kampf spiegelte
sich in den Zügen des Jünglings
wieder, aber er schwieg und die
Königin mußte ihre Aufforderung
abermals ergehen lassen. — Da schöpfte er tief Athem und trat
einen Schritt vor; er war entschlossen und ruhig — ja er lächelte
sogar.
„Gestatte mir eine einzige Frage, holdeste der Frauen!"
Sie neigte das Haupt.
„Sage mir: Warum trägst Du — so reich, so schön, so klug!
warum trägst Du immer so geschmacklose Kleider?"
„Ah! Ah!" schrie die Königin auf und sprang empor, bleich
vor Schmerz und Entrüstung.
Sie sank auf den goldenen Thron zurück; nur ihr Schluchzen
unterbrach die athemlose Stille, die sich wie ein Leichentuch nieder-
gesenkt hatte; vergebens bemühten ihre Frauen sich um sie.
Die Räthe sahen sich gegenseitig an; aber die Frage war
erschienen, dynastische, religiöse und sittliche Gefühle zu verletzen;
aber diese schlöffen sich bei den (Dualitäten der Herren doch
natürlich von selbst aus.
Nun fängt die Geschichte an.
Der große Tag dieses Wettbewerbes war gekommen und
die junge Königin faß herrlich geschmückt und sehr vergnügt und
zuversichtlich — denn sie war ivirklich fabelhaft klug — auf
goldenem Thron unter seidenem Baldachin und wartete, wie sich
alles entwickeln würde.
Eine stattliche Zahl von Bewerbern war erschienen, und das
Loos hatte die Reihenfolge bestimmt, in welcher sie vortreten und
ihre Fragen stellen durften.
weder antidynastisch, noch unsittlich, noch irrreligiös, und außerdem
hätten sie von allen Anwesenden keinen lieber als Genialst der
Königin gesehen, als gerade den Urheber eben dieser Frage.
Also begannen sie leise zu lächeln, einer nach dem andern, und
fuhren fort zu schweigen und sich anzusehen.
„Willst Du mir nicht antworten?" fragte der junge König
die junge Königin.
Da erhob sie sich stolz und sprach: „Für solch' unglaubliche
Beleidigung habe ich keine Antwort!"
„Nicht?" jauchzte er, siog auf sie zu und warf sich vor ihr
nieder. „Nicht? Du hast keine Antwort für meine Frage?
Dann bist Du mein, Geliebte, mein, mein, mein!" Er küßte ihre
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Frage"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 118.1903, Nr. 2997, S. 10
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg