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Fliegende Blätter — 13.1851 (Nr. 289-312)

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Haymon und Hanra.

4!»

fiel, so mochte cs ihm auch viel schlimmer ergehen, als in
unfern gnadenreichen Zeiten. Bon König Heinrich nun ver-
sah sich damals Niemand großer Milde, denn er zürnte seinen
Edelherrcn, weil sic einander in den letzten Zeiten wieder
recht meisterlich ihre Schlösser angezündet, sich die Schwerter
durch den Leib gerannt, ihre altadeligen grauen verunehrt,

} die Knechte erschlagen und die Länder wüste gelegt hatten.

Tie Klage wegen des geraubten Heidenmädchens hatte
, übrigens Dionys, der Hansvogt erhoben, nachdem ihm das
Gerücht die Kunde hinterbracht. Aus sein Ersuchen hatte
' Herr Roger von Menlan, des Königs Großjustitiar, den
Missethäter laden lassen, das heißt: seine Knechte hatten ihn
bei dunkler stacht ans seiner Burg geholt und in den Kerker,
das Fräulein aber zur nämlichen Zeit zu St. Wandregiscl
' ins Nonnenkloster gebracht.

An jenem Morgen nun stand Herr Haynion vor der
: Assise, wo vier und zwanzig normännische Barone sein Ur-
! theil sprechen sollten. Er trug ein härenes graues Gewand,

| war barfuß und noch immer bleich von seinem Siechthum
her, auch etwas düster, denn er wollte die Wahrheit der
Geschichte nicht bekämpfen und kannte die Strafe, der er
j verfallen würde, nämlich den Tod. Nicht weit von ihm saß .
tief verschleiert die Saracenin.

Ter Hansvogt stand auf und sprach:

„Ich klage wider Herrn Haynion von Nullepart, der
gegen den Frieden Gottes und des Herrn Königs Hanra
von Antiochien, mein Fräulein und meine Herrin wider ihren
Willen geraubt und auf sein Schloß zu Nullepart geschleppt
und bin bereit dies zu beweisen zu jeder Stunde des Tages."

„Es ist kein Beweis Vonnöthen," cntgegncte der Ritter —-
„ich bin der Thal geständig."

„Ihr könnt also in Wahrheit nicht behaupten," sprach
König Heinrich, „daß sic Euch gern und willig gefolgt, Herr
Haymon von Nullepart?"

Herr Haymon antwortete leise: „Ich glaube nicht, daß
sie mir gerne und willig gefolgt" — während das Mädchen
! sich rasch erhob und ausrief: „Nein, bei Gott und dem
Propheten, ich bin nicht gern und willig gegangen, sondern
der Ritter hat mich mit seiner Kraft auf sein Roß geworfen
und dann im schnellsten Laufe gen Nullepart geführt."

Auf dieses entbot König Heinrich den vier und zwanzig
Baronen den Spruch zu geben, worauf einer nach dem andern
aufstand und mit emporgehaltener Rechten den Eid schwur,
Herr Haymon von Nullepart sei schuldig, das Fräulein Hanra
von Antiochien wider ihren Willen geraubt zu haben, dcß-
wegeu seinerEhreu uudWürden verlustig und demTvdeverfallen.

„Ihr habt Euch wohl gerächt, daß ich's empfinden werde,

! schönes Fräulein," sprach der Ritter, als die vier und zwanzig
! Barone geschworen hatten. „Und nun," setzte er hinzu, „laßt
mich abführen, Herr König und vergönnt mir ein baldiges Ende." .

König Heinrich von England war traurig und winkte
trüben Blickes den Bewaffneten, welche den Bernrthcilten um- j

standen, als plötzlich mit einem lauten Schrei das Fräulein
vor den König hinstürzte, den Schleier zurückschlug und rief:

„Ich bitte um Gnade, Herr König von England, für den
edlen Herrn Haymon von Nullepart, denn obgleich er mich i
wider meinen Willen geraubt, so hat er mich doch in Zucht
und Ehren gehalten, da ich ihn Pflegte. Schenkt ihm seine!
Würden und sein Leben, indem seine Misscthat ohne meinen
Schaden abgegangen ist. Auch wird meine Gegenwart nicht
länger an das Geschehene erinnern und von mir in diesen
Ländern bald nicht mehr die Rede sein, da ich willens bin,
morgen nach Hispanien zu ziehen, wo mein Oheim zu Sevilla
Haus hält."

König Heinrich war erstaunt über die Schönheit des Mäd-
chens von Antiochien und über ihre blonden Haare. Daß sic
die normännische Sprache, obwohl eine Morgenländerin, so
zierlich zu handhaben wußte, wunderte ihn nicht minder und
da er auch Herrn Haymon wegen manches guten Dienstes,
den er der Krone von England in ihren Nöthen geleistet,
besonders freundlich gesinnt war, so sprach er, während er
dem Fräulein sich zu erheben winkte:

„Was haltet Ihr für Rechtens, Herr Roger von Menlan,
Großjustitiar von England?"

„Um der Gleichheit der Sachen willen," entgegnete der
Großjustitiar, „gedenke ich Euch an einen Spruch zu mahnen,
der vor siebenzehn Jahren erging, als zu Coutances ein he-
bräischer Jongleur gestorben war und Herr Robert von Car-
neville desselben junge Wittwe mit Gewalt auf seine Burg
geführt hatte. Tamals bat die Jüdin, den christlichen Glauben
annehmen zu dürfen, der Ritter versprach sie zu ehelichen,
der würdige Erzbischof von Rouen bat um sein Leben und
König Wilhelm schenkte cs ihm."

Ein fröhliches Flüstern ging bei diesen Worten durch die
Versammlung und Ritter wie Edelknechte, Frauen wie Fräu-
lein und auch das andere Volk — alle dankten es mit ver-
geltenden Gebärden dem Herr Roger von Menlan, daß er
den Weg zur Gnade, zum Leben und znm Glück so wohl-
verständlich angedeutet. Auch König Heinrich sprach mit wohl-
wollendem Lächeln:

„Und was habt Ihr dazu zu sagen, schönes Fräulein?" !

„Fragt erst den Ritter," erwiderte Hanra und erröthete
dergestalt, daß sie, um es zu verbergen, schnell den Schleier
wieder herabfallcn ließ.

„Ich," sprach Herr Haymon unaufgesordert, „ich habe
meiner Tag kein edler und liebevoller Frauenbild gesehen,
danke ihr auch schier mein Leben und hätte nie einen andern
Willen gehabt, denn sie als Dame von Nullepart zu feiern,
wäre nicht ihr schnödes Heidenthum —"

„Wollt Ihr ihn aber Eures schnöden Heidenthums wegen !
sterben lassen?" fragte der König wieder und gab seinem
Schenken das Zeichen, so daß dieser einen goldenen mit Wein
gefüllten Becher vor den König stellte.
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