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Der Herr Professor, -s-—

Der Herr Professor bringt seiner Tochter eine kleine Schild-
kröte als Geschenk heim und belehrt sie: „Ein solches Tier kann
dreitausend Jahre alt werden — Du mußt es aber immer gut
pflegen!"

■>g. Der Klügjfe. .d—

Ser alte Kalif Nehemet al Emir war regierungsmüde und
wollte sich zur Ruhe setzen. Da er keinen Sohn hatte,
brütete er Tag und Nacht darüber nach, wen er wohl
zu seinem Nachfolger bestimme» sollte, damit er mit gutem Ge-
wissen abdanken könnte. Verzweiflungsvoll riß er sich an seinen
letzten drei Haaren und knirschte mit dem einzigen, übriggebliebenen
Zahn; keine Erleuchtung kam über ihn und er mußte täglich
seinen gebrechliche» Körper, der sich nach dem Schlafrock und den
Hauspantoffeln sehnte, zum Thronsessel schleppen, um über die
Torheiten seiner Untertanen Gericht zu halten.

Endlich erschien ihm ein hilfreiches Tranmgesicht in der Nacht.
Erst erschrak Nehemet al Emir heftig, denn das Traumgesicht
hatte die Züge seiner, ältesten und häßlichsten, einstigen Gemahlin
Fatime. Aber die furchtbare Erscheinung sprach: „Erschrick nicht,
Nehemet al Emir, ich bin nicht Deine Gattin, die holde Fatime,
ich habe nur ihre Züge angenommen, um Dir in wohlvertrauter
Gestalt zu erscheinen und Dir mit weisem Rat zu dienen. V Be-
herrscher der Gläubige», Augapfel Allahs, Herzblatt Fatimes,
wähle nur jenen Deiner Großen zum Nachfolger, de» Du als
Klügsten erkennst!" Damit zerfloß das entsetzliche Gesicht, höhnisch
grinsend.

Fröhlich wachte der Kalif auf. Er hatte doppelten Grund
zur Heiterkeit. Liiunal freute er sich, daß seine teure Gattin
Fatime nicht mehr unter der Sonne wandelte, und zum andern

Mal hoffte er, nun einen würdigen Thronfolger bestellen zu
können.

„Der Klügste! Gesegnet sei Deine Weisheit, o Allah, Du
Licht alles Lichtes!"

In der freudigen Erregung dieser Stunde ließ sich der edle
Kalif Nehemet al Emir zum festlichen Mahl nieder. Er verspeiste
mit ganz besonderem Appetit drei Dutzend Pfauenaugen, hundert
Naulwurfsohren, zweitausend Kanariencier, trank Rosentan dazu
und labte sich endlich an sechs Hammelkeulen, als ihn ein furcht-
barer Schreck durchfuhr, der ihm beinahe das Leben gekostet hätte,
da ihm infolgedessen ein Knochen im Halse steckengeblieben war.

Mit Hilfe des Hofmedikus wurde zwar dieses Korpusdelikti
wieder zutage gefördert, aber init dem ersten Atemzug, den der
ehrwürdige Kalif tat, stieß er drei klägliche Seufzer aus, rollte
die Augen nach allen Seiten, rang die Hände und stöhnte: „Allah,
o Allah, nur unvollkommen hast Du Deinen Knecht erleuchtet,
wie soll ich herausfinden, welcher der Klügste ist?I"

Finster brütend saß nun der unselige Kalif Tag und Nacht
und verweigerte die Nahrung, bis er von seinen drei letzten
Haaren noch zwei verloren hatte. Als er sich gerade in knirschen-
der Wut den letzten Zahn ansbeißen wollte, klopfte es leise an die
Türe, und noch ehe Nehemet al Emir: „Fort, Elender!" schreien
konnte, stand ein holdes Kind auf der Schwelle. Es war Sulcika,
auch die schöne Tigerkatze genannt, sein jüngstes Töchterlein.

„Ich habe von Deinem Kummer gehört, o Herr," sprach sie
mit lilienzarter Stimme, „und bin gekouunen, Dich aus allen Zwei
felsqualen zu reißen, wie Du weißt, hat mir eine gütige Fee
Verstandesschärfe mit auf den Lebensweg gegeben. Höre daher
anf mein kindliches Wort: versammle Deine Großen um Dich
und frage jeden einzelnen, ob er geneigt iväre, Deinen erhabenen
Thron z» besteigen. Gib wobl acht auf die Antworten, welche Du
erhältst, sie werden Dich den Klügsten leicht finden lassen." -

Es geschah nach Suleikas Rat. Als Nehemet al Emir seine
Großen nur sich versammelt sah, stellte er der Reihe nach an sie
die verhängnisvolle Frage. Demütig antwortete der erste: „Keine
höhere Gnade, o weisester Beherrscher der Gläubigen, könnte mir
geschehen, als Dein Nachfolger zu werden und in Deinen erhabenen
Fußstapfen wandeln zu dürfe»."

Hochfahrend meinte der zweite: „Trifft Deine Wahl mich,
ruhmvollster Kalif, so kannst Du in Frieden Deine Tage beschließen,
denn ich würde den Wohlstand des Reiches mehren und keinen
höheren Ehrgeiz kennen, als Deinen Ruhm noch zu iibertreffen."

Tückisch flüsterte der dritte: „wählt das Licht Deines Geistes
mich, hoher Herr, aus der Schar dieser Schönredner, so wirst Du
sehen, daß meine Taten ihre Worte weit überstrahlen werden."

So suchten sie einander z» überbieten, doch die Stirn des
Kalifen legte sich in immer düsterere Falten, denn keine Antwort
noch schien ihm des Klügsten würdig zu sein, und er hatte schon
jede Hoffnung anfgegcben, als er sich zum letzten der Großen
wandte, einem buckligen Männchen, das sich hinter den breiten
Rücken seines Vordermannes versteckt hatte. Seufzend srug
Nehemet al Emir auch ihn.

„Hoher Herrscher der Gläubigen, Lieblingssohn Allahs, Sonne
des Weltalls," sprach der Kleine zaghaft, „verzeihe Deinem un-
würdigen Knecht, wenn er nicht um den Bart des Propheten
Deinen erhabenen Thron besteigen möchte."

Da raufte sich der Kalif sein letztes Haar aus und rief: „©
Suleika, schöne Tigerkatze, ich habe ihn gefunden, den Klügsten,
doch wehe, er ist z» klugl" - i». v.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Herr Professor"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Verschlagwortung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Zopf, Carl
Entstehungsdatum
um 1914
Entstehungsdatum (normiert)
1909 - 1919
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 141.1914, Nr. 3597, S. 4
 
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