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L.ord Egglestons Kraftwagen ratterte und lärmte so
u,1gestüm und unmanierlich, daß die heiligen Kühe, vor deren Hain
er stoppte, recht nervös und aufgebracht durcheinanderliefen, was
Slch doch eigentlich für heilige Kühe gar nicht schickt.

Seine Lordschaft, Dandytyp, kam in Begleitung einer hübschen
l|nd sehr vornehmen jungen Dame, Lady Wiggins, geradeaus von
Kenares, wo sich beide getroffen und als Jugendfreunde wieder-
erkannt hatten.

In dem blaßgelben Faden der Langeweile, der sich durch das
ganze Erdenwallen des Lords zog, hatte sich ein Knoten gebildet,
über den er nicht ohne weiteres hinwegkam. Weit davon entfernt,
leidenschaftlich zu werden, fühlte er doch manchmal das Bedürfnis,
üer anmutigen und lebenslustigen Lady Constance Wiggins etwas
Liebes zu sagen. Mitten im Anlauf aber mußte er gähnen und so
blieb all das Liebe ungesprochen.

Lady Wiggins war das Gegenteil von alledem, was im Wesen
Lord Egglestons lag. Ihre blonde Schönheit sonnte sich gern, schien
e>n menschgewordenes glückliches Lachen zu sein und zeigte für
alles in der Welt Interesse.

So waren die beiden sich Suchenden herausgefahren, um den
Tempel Madanas und den großen Hain der heiligen Kühe zu be-
sichtigen. Eine einsame, verlassene Gegend war es ; man merkte, daß
üie Menschen gottlos geworden waren, daß sie sich in ihren Herzens-
angelegenheiten nicht mehr an Madana, den Liebesgott, wandten,
sondern — Heiratsannoncen einschalten ließen. Hier so wie überall.
L*as stimmte Constance schier schwermütig. Eggleston dachte darüber
überhaupt nicht nach.

Während der Diener Peng, ein widerlich gleichmütiger Chinese,
seiner Lordschaft aus dem Fond des Wagens Kamera, Stativ und
lllitzlichtkapseln reichte, machte Lady Constance Vorschläge für den
nach der Besichtigung des Tempels geplanten Lunch Eine prächtige
L>eodarazeder bot ein angenehmes schattiges Plätzchen; dorthin wurde
auch gleich alles Nötige geschafft und mit Constancens hellgrauem
Staubmantel zugedeckt.

Peng stellte sich neben all die lukullischen Herrlichkeiten als
Wache auf und harrte noch weiterer Befehle. Eggleston nickte ihm
aber bloß zu und schritt mit Lady Wiggins dem Tempel zu. Dies
war für den Chinesen das Zeichen zu einem Schläfchen, dessen er
Slch stehend erfreuen wollte. Ein Auge schloß sich bereits, während
üas andere noch den beiden schlanken, über den dunklen Grasteppich
dahinschreitenden Gestalten nachblinzelte. Ein kaum merkliches Lächeln
sollte sich auf seinen dürren, schmalen Lippen festsetzen — da schloß
sich auch das andere Auge und das Lächeln kroch eilends durch eine
große Zahnlücke zurück.

„Denken Sie nur, Lord Harry,“ sagte Constance, als sie über
die breiten Stufen zum gewaltigen Madanatempel emporstiegen, „ich
habe innerhalb solcher Steinkolosse immer das ängstliche Gefühl,
als müßten mich die Gesteinsmassen zerdrücken. Sehen Sie nur diese
monumentalen Säulen . . .“

„. . . die zwei Unzen Dynamit in ein Häufchen Asche verwandeln“,
erwiderte Lord Eggleston und glaubte, ihnen damit das Beängstigende
genommen zu haben.

„O Sie Barbar!“

Schon umfing sie das verträumte Dunkel der Tempelhallen.
Ihre Schritte hallten laut wieder. Constance hatte unwillkürlich den
Arm Harrys erfaßt und ließ sich von ihm führen. In der Mitte der
großen Halle stießen sie auf eine Kolossalstatue Madanas und Ratis,
seiner Gemahlin. „Das müßte ein prächtiges Bild werden“, meinte
Constance und Eggleston war sofort bereit, die Kamera aufzustellen.
Seine Augen waren aber noch nicht so sehr an das Dunkel des
Tempels gewohnt, um den Apparat einstellen zu können; so mußte
Constance mit der elektrischen Taschenlampe die beiden Gottheiten
beleuchten. Es weckte dies den Eindruck, als hätte sich zu den beiden
altersgrauen Göttern plötzlich eine dritte, jugendfrische Gottheit
gesellt, die sie mit Licht und Leben überstrahlte. Lord Harry be-
trachtete erstaunt die herrliche, fantastisch beleuchtete Szene; er
wollte auch etwas sagen, mußte aber wieder gähnen. . . . Als er zur
Aufnahme bereit war und Lady Wiggins sich zu ihm begeben wollte,
bat er sie, in der innegehabten Stellung zu verbleiben, was sie gerne
gewährte.

„Licht aus, Lady Constance“, bat der Lord und ließ das Blitz-
licht aufflammen. Das weiße Licht erfüllte gespenstisch die Halle.

Da war es ihm, als hörte er einen unterdrückten Schrei. Das
mußte Constance gewesen sein. Aber er hatte nicht mehr Zeit, darüber
nachzudenken, denn er fühlte mit sich eine geheimnisvolle Ver-
änderung Vorgehen. Er griff nach seiner Taschenlampe, erinnerte
sich aber dann, daß er sie ja Constancen gegeben. Der Griff nach
seiner Rocktasche hatte ihn jedoch eine sonderbare Entdeckung
machen lassen. Er hatte ein weites faltiges Gewand an, es rauschte
wie feinste Seide, wie das Seufzen weicher Falten floß es von ihm.
Er konnte sich nicht fassen. Er wollte nach Constance sehen, aber
mit Schrecken gewahrte er, daß sich die ganze Szenerie verändert
hatte. Die Götterbilder waren im Freien, die Säulen herum weit
zurückgetreten, ja, es waren gar keine Säulen mehr, das waren
mächtige, majestätische Zedern, die über eine seltsame Gegend das
Schweigen ihres Schattens breiteten.

Neben ihm stand ein glänzend schwarzer Hengst, dessen
Zügel er in der einen Hand hielt. Er selbst schien von einem
weiten und beschwerlichen Ritt erschöpft.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Lady Wiggins Sie müssen Lady Eggleston werden"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Verschlagwortung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Rothaug, Alexander
Entstehungsdatum
um 1914
Entstehungsdatum (normiert)
1909 - 1919
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 141.1914, Nr. 3600, S. 49
 
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