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Musik.

Das Reserl will auf Gesang lernen. — Das Reserl hat es
nun einmal mit der Kunst! — Kannst nix macha!

Der Vater Brömeisl, rühriger Butter- und Fettgrossist sowie
viehkommissionür, ist unglücklich über das entartete Kind. — „Mt
dera Bluatskunstl — Mit dem Bluatsklawiiir, mit dem verdächtigen!
Überhaupts mit dieser blödsinnigen Buidung! Mt dem Pflanz I I"
Seine Alte ist grad so übertrieben, so ausgefallen, seit die
Familie Brömeisl eine Buidung haben muß. — Mit den, Klawiiir
ist's angegangen. — „Bappi," hat sie gesagt, „Bappi, gebuidete
Leut' Ham ein Klawiiir! Da gibt's keinen Zweifi! —- Das Reserl
muß ein Klawiiir Ham, Bappi I — Man muß sich ja direkt schenier'n
vor de Leut', ohne Klawiiir. Und das Reserl geht in die Höhere
Töchterschul' und da spielen sie alle Klawiiir. Und in der Tanz-
stunde, wo man den Boston und den Gnestep lernt, spielen auch alle
Klawiiir. . . Bappi, ein Klawiiir g'hört her!" —

Der Vater Brömeisl meint, Zither. — Zither, das ist so
sein Gusto. Zither ist die Königin der Instrumente. So recht die
Musik für Heranwachsende Jungfrauen, meint Brömeisl. Zu seiner
Zeit hat man Zither gelernt. „Klawiiir ist eine Kunst für Groß-
kopfete ..." — „Siehgst D', Bappi!" sagt triumphierend seine Alte:
„Da sagst D'es selber: es g'hört zur Buidung!!" — „Also, zua
nachher l" sagt Brömeisl resigniert. Aber er bedingt sich aus, daß
das Reserl den „Tölzer Schützenmarsch" lernt — sein Leibstückl.
„Herrgotts«! Da liegt eine Schneid drin!" Brömeisl pfeift und
schnackelt. — „Dö Musi', mci' Liaber! Da liegt was drin!" —
So kauft er halt das Klawiiir. Lin guates Stückl l A feste
Arbeit! Alles solid! Sauber poliert! Lr untersucht es mit festem
geschultem Griff, wie auf denr Schlachthof ein schön unterwachsenes
Gchsl. — ;,Do’ mir aus! Lernst halt nachher Klawiiirspuin!"

Das Reserl lernt bei Fräulein Ludmilla Krögemann-Lipxlinger
sämtliche Tonleitern nebst Zubehör. — Brömeisl fragt nach vierzehn
Tagen mißtrauisch nach dem „Tölzer Schützenmarsch". — Lr ist
einer, der sich nicht anschmieren läßt. — Aber das Reserl sagt:
„Ls lernt auf höhere Kunst und Überhaupts. . I" —

Der Vater Brömeisl schüttelt kummervoll den Kopf. Sein
Reserl ist eine ganz Moderne! — Möcht' sie nicht neulich eine
„Pagenfrisur"! — Kurze Haar über die tvhrwaschl gekämmt! —
weil's die Herzfelder Selma auch so hat. weil es die Haartracht
der mondänen jungen Dame ist, wo im „Letzten Schick" steht.

Aber da ist ihr der Bappi gekommen! — „Du draxfte Henna,
dös untersteh' Di' g'rad' I . . . Dir gib i' na' a „Pagenfrisur"! . . ."

Lr ist Überhaupts im Zweifel nüt der Erziehung. Soll er modern
sein und aufgeklärt oder soll er seinem Reserl doch lieber manchmal
mit einer saftigen watschen den „Letzten Schick" beibringen? —
Schick: Marke Brömeisl? —

„was is's mit dem „Tölzer Schützenmarsch"?!" —

Aber das Reserl lernt den Glockenfoxtrott und übt am Shimmy.
Und der alte «Oberstleutnant im Stockwerk über Brömeisl hat es
längst aufgegeben, durch Klopfen mit dem Besenstiel der musikalischen
Entwicklung vom Reserl Kabalen und Intrigen zu bereiten. Der
alte Soldat hat die Flinte ins Korn geworfen. —

Und jetzt käm' das Reserl mit Gesang lernen! — Der Vater
Brömeisl tobt. Lr hält nicht viel vom Gesang, von Sängerinnen
gar nichts — nichts von ihrer Kunst — nichts von ihrem Lebens-
wandel. — Seiltänzerin, Tierbändigerin, Ringkämpferin, Schau-
spielerin, Dame ohne Unterleib, Sängerin — alles ein Zigeuner-
wagen I — „Pfui Teufel I A Sängerin II"

Aber die beiden Reserl, das junge und das alte, geben nicht
nach. Die Herzfelder Selma darf auf Gesang lernen und die Müller

Emilie und das Rosner Farmer! und die Maria von Gcheimrats,
und wie das Reserl neulich bei Schwingdoblers gesungen hat, beim
Tee, da haben alle gesagt, sie hätt' wirklich eine reizende Stimm'
und es wär' ewig schad', wenn sie sich nicht ausbilden laßt I —
Und sogar ein Kapellmeister war da und hat gesagt: „Ganz reizend
— ganz reizend!" Hat er gesagt.

Also geht halt der Brömeisl mit dem Reserl zum Gesangs-
pädagogen Professor Kobinger - Santaliri und läßt sie prüfen.
Kobinger-Santaliri, eine gewaltige Heldengestalt, mit wallenden
Locken, Augen und Brusttönen, ein Mann, von dem die Heirats-
vermittlerinnen nüt Recht schreiben könnten, daß ihm der wahre
Seelenadcl mit ehernem Griffel ins Antlitz gemeißelt ist, Kobinger-
Santaliri prüft. — Lr mustert die schwere gold'ne Uhrkette Brömeisls,
die zwei großen Brillantringe und den guten Anzug, und seine Züge
sind wohlwollend, gütig, ja steigern sich bei den letzten Takten
von „Der Lenz ist da" geradezu zur angenehmen Überraschung.

Das Reserl hat zitternd und piepsig aufgehört. Töne von sich
zu geben. Der Maestro nickt, stützt das Kinn in die Hand, holt
zu großer Gebärde aus und sagt zu Brömeisl: „Toirer Freund!
Line ganz purrrächchtigc Stimme I Fürwahr I Indes, es wäre ein
verburrrächen an der Kunst, diese Stimme nicht süüstematisch aus-
zubilden. — Ls fehlt natürlich an der Schulung, aber dann ist
Gurrroßes zu erwarten."

Brömeisl wird schwül. Lr sagt zu allem Ja. — wenn er
nur wieder draus;' ist I — Lieber Unigang mit Narrischen als mit
Kinstlern I — Lr sagt Ja! I Auch zum Stundenhonorar von hundert
Mark. — Lr packt sein Reserl zusammen. Reserl strahlt. Reserl
ist selig. — Sie geht gleich zum Photographieren. Mit dem Noten
Heft. Und dann zur Herzfeldcr Selma! Die Wut, wenn die hört,
daß das Reserl die Stunde um hundert Mark kriegt. Der Selnia
ihre kostet nur siebzig!

Kobinger-Santaliri trinkt ein Gläschen Sherry, „prrrr!" sagt
er zu seiner Frau, „was heute alles singen will! Ls ist zum
rrrrhasend werden! — Man möchte schlankweg Kanarienvögel
gebären! ..." — „warum schickst Du sie nicht fort, wetin sie gar
keine Stimme hat?" — „Liebste! TeuersteI Väter mit Geld haben
immer Töchter mit Stimme!"

Das Reserl singt jetzt. So oft Vater Brömeisl heimkommt, hört
er das cio re mi ka so la si do. Das Reserl macht vor, bei und nach
Tisch Atmungsübungen, daß man alle Augenblick meint, es steckt
ihr ein Brocken im Hals und die Mutter will ihr schon auf den
Rücken klopfen. — Nein. Ls war nur ein gehauchtes hhhhmmni.
Das Reserl darf jetzt nicht mehr an der Isar cntlanggehen, weil
der Nebel der Stimme schadet, cs darf nicht mehr am Sonntag
abend mit in die „Reichskrone", weil der Tabakrauch der Stimme
schadet. Brömeisl darf das Reserl nur mehr mit Liebe wie ein
weiches Li behandeln, weil jede Aufregung der Stimme schadet.
Brömeisl kann sein Nachmittagsschlaferl nicht mehr machen, denn
von zwei bis vier Uhr ist der damische Deist, der langhaarete
Gischbi da zum Duettsingen; dcrselbige, der auch bei Kobinger-
Santaliri auf Gesang lernt. Lyrischer Bariton. Lr ist da.

Ja, er ist da, derselbige!

Brömeisl hat ihn von Anfang an mit kühlen, sachlichen,
mißtrauischen Augen angesehen. — Zu seiner Zeit hat es das
einfach nicht geb'n, daß ein junges Mädchen und ein junger Mann
allein in einem Zimmer beisammen sein dürfen und Vater und
Mutter müssen draußen sein, weil es „zweng der Kunst" ist und
moderne Menschen ihre erwachsenen Kinder nicht mehr hüten dürfen.

wie gesagt: Vater Brömeisl ist mißtrauisch.

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