Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Kokuskaktus oder „Vom Werden neuer Kunst."

von Earl Grafen Scapinelii.

Ilr. 1: Die Seburt.

Waffilo Slauinsky, der leine Abftammung aus Grofj-Slavinien
bis weit an die afiatifche Grenze hin zurückleiten konnte, iah wie
eine acht Cage alte haugenbretzei verfchrumpff und geiftig ausge-
dorrt auf der letzten umgeftiilpten Kiite in [einem leeren ungeheizten
Atelier und hielt in Decken gehüllt — [einen Winterfchlaf.

Im unraiierten Gelickt war ihm die mächtige Bornbrille beim
flicken kalt bis zur flaienlpitze heruntergerutfcht, als plötzlich die Cure
aufgeriilen wurde und Schwabinger eintrat, brüllend und polternd.

„Was [dinarchft Du ürübfaf, Wallilo, wach auf, der Frühlings-
wind geht durch die Irande !“ Slauinsky öffnete erft eines feiner
reiflich gefchlitzten tränenden Augen, dann das andere und fchob
mit feinem fpindeidürren rechten Zeigefinger die mächtige Bornbrille
das Grat feines Ilafenrückens hinauf.“

„hafj mich in Frieden, Bruder, Iah mich fdrlafen, bis unfere Zeit
kommt!“

„Die Zeit ift da, Waffilo! Die Kuben kreifen, Farbklexe glühen,
ausgeriffene Bäume ftehen am Kopf und über das alles fchlagen

die ITleereswogen — und das alles — wird gekauft; Iafj lehn, ob
Du keine alte Schwarte halt, die man unkenntlich machen und dann
zu hohem Preife veräußern könnte; denn Iängft fürchtet fick der
Philiffer uernünftig zu fein.“

„fliichts hab ich, nachts, iah mich fchiafen!“

Schwabinger fah im Zimmer herum, die Wände leer, das Atelier-
fenlter uereilt und davor ein Blumentopf, in dem irgend ein ver-
dorrter Knollen feit Monaten als Deiche fick dank der Eiskälte im
Atelier konferuierte. Benno Schwabinger trat näher an diefes Blumen-
grab heran. Er nahm die Urne in die Bände, fah das Ding prüfend an.
„Immerhin ein Belitz, ein Kapital in richtigen Bänden!“

„Irafj mich in Frieden, ick will fchiafen!“

„Was war diele Mumie einmal? Eine Kokuspalme?“

„Kokus? Hein, nicht Kokus, Kaktus glaub ich! Aber jetzt ift
fie Iängft geftorben und ihre Blumenfeele ift im Bimmel."

Und Schwabinger fah wieder den irdenen Copf an, aus dem drei
bis vier gelbe, der Stacheln beraubte Blätter zu Cränen traurig in
die Welt Merten.

„Ach was, Kokus, Kaktus, das ift gleich, das Ding ift nur im
Code nickt elegant genug.“

Dann plötzlich rüttelte er Waffilo auf.

„Menfck, Du halt hier ein Kapital, nimm Griffel und Papier und
zeichne, zeichne dielen Kokus-Kaktus, er scheint mir das grund-
legende Element moderner dekorativer Kauft. Es ift wilder Urwald-
geift in dielen dünnen Baimen und wir lieben jetzt das Wilde fo.
Aber natürlich nicht naturgetreu darfft du’s macken, nein eckig, ge-
brochen, pervers.“

Mit frierenden Bänden umklammerte Waiiilo den Bleiftilt. „Ick
habe keine fichere Führung heute“, Jammerte er.

„Delta beffer.“ Und Waffilo begann zu kritzeln, während
Schwabinger ihm über die Schultern fah.

„Verdünne die wuiftigen Blätter zu Gräfern, breche den geraden
Stamm und Zickzacke ihn — fetze oben auf den Kaktushalm die
Kokusnufj, aber [feile fie fchief in den Raum, fo iff’s richtig (Bild 1)!“

Und [föhnend wie fuggerierf griffelte Slauinsky weiter. Indeffen
ging Schwabinger weiter im Atelier, er luchte nach Kapital. Ganz
in der Ecke lag eine zinnerne Beffeckrafpel. Einen Edelhirfcfi dar-
[teilend, dem vom Künffler aus technilchen Gründen das Kreuz
eingetreten war.

„Diefes Einhorn ift von koloifalem, kalt antikem Wert“ fckrie
Schwabinger.

„Aber es ift dock ein Edelhirfch!“ — „Was Edelhirfch? Dep-
perl -. Ein Einhorn iff’s, eine einhörnige vom Pfeil des Wilden
zufammengebrochene Gazelle, das werfvollffe Ornament, das Stück,
nach dem alle Völker fudien, man mühte es feffhalten, wie es ift,
oder es einfühig machen. Das Illode-Reh in aufwartender Form
mühte daraus entftehen.“

Und Slauinsky zeichnete auch diefes (Bild 2). flun war nichts
mehr im Atelier, gar nichts.

Schwabinger lackte an Slauinsky felbff, aber er hafte nichts
Auffallendes, nichts was fick für das Kunftgewerbe verwerten lieh,
nur eine Bornbrille trug er, eine Bornbrille räderrund, mühlradgrofj
im echteffen Ghinaftil.

Schwabinger rih fie mit einem Ruck Slauinsky von der Aale
und wenn er auch hundertmal wimmerte, dah er nichts [ehe, er
muhte auch die Brille zeichnen (Bild 3) und als er fertig war, eilte
Schwabinger mit den Blättern davon, indes Slauinsky fick wieder
in feine acht Cage alte Iraugenbretzenform zufammenballfe, zuerft
das eine Auge und dann das andere fckloh und unter dem Schutze
feiner Bornbrille feinen Winterfchlaf fortfefjte.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Kokuskaktus oder 'Vom Werden neuer Kunst'"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 157.1922, Nr. 4018, S. 34
 
Annotationen