Kang Lu, ein Mann im Reich der Mitte, war ein Poet.
Er dachte nur in Märchen, Bildern, Reimen,
Doch der ersehnte Lorbeer wollte niemals keimen;
So blieb er unbekannt, wie’s armen Dichtern geht,
Verdiente kärglich seinen Reis mit Glücksgedichten,
Durch Märchensingen und gereimte Lieder — —
Er ging, wie es in China Brauch ist, hin und wieder
Zum grossen Sonnentempel; machte Kotaus bis zur Erde
Und betete, dass Gold und Dichterruhm ihm werde.
Und pinselte auf billiges- Papier Geschichten,
Die niemand kaufte, niemand kannte, niemand las,
Bis er zuletzt nur seinen Rock, sonst nichts besass.
Als er so, hungernd und verzweifelt, einmal wieder
Im Tempel kniete, fing der Sonnengott zu sprechen
Stieg freundlich von dem Drachensitz hernieder,
Klopfte den dicken Bauch sich wohlgefällig und begann:
„Ach, Dichterlein, Du dauerst mich mit Deinem Streben
Nach Dichtergliick und -Ruhm! Drum will ich mich erbarmen
Und Dir Erfolg, Bekanntsein, Reichtum geben —:
Nimm diesen Pinsel! Alles, was er schreibt,
Das macht sofort reich und berühmt Dich Armen.
Doch wisse, dass er nur ein einzig Jahr Dir bleibt!
Nun geh’ und dichte, was Du willst! Nach einem Jah
Musst Du mir selbst den Pinsel wieder geben — —!‘
Von dem Tag an begann Kang Lu ein neues Leben,
Und wenn auch manchmal alles wie ein Traum ihm war
Er war doch über Nacht ein grosser Mann geworden!
Man las ihn, kaufte seine Bücher, kannte ihn — ■
Und was ihm einst als höchstes Ziel erschien
Besass er: Ämter, Titel, Ehren, Geld und Orden — —
Und alles was er unternahm, war ihm zu Willen.
Doch bald gewahrte er voll Schreck im Stillen
Wie unerbittlich näherkam der Unglückstag!
Und als — eh’ er es selbst geglaubt — sein Jahr verstrichen,
War heimlich er zum Tempel hingeschlichen,
Den Pinsel abzuliefern, wie er es versprach.
„Weh’ mir,“ so klagte er, „wie soll ich weiter schreiben
Nun wird kein Mensch mehr meine Bücher lesen — —
Wie soll mir Ruhm und Reichtum ohne Pinsel bleiben ?
O weh, nun bin ich wieder, was ich einst gewesen — —!“
Da, als er —- wie vor einem Jahr — verzweifelt wieder
Im Tempel kniete, fing der Sonnengott zu lachen an
Kletterte huldvollst von dem Drachenaltar nieder,
Hielt sich den Bauch vor Lachen und begann:
„Gib nur den Pinsel her, mein Freund, Du brauchst ihn nimmer —
Jetzt bist Du ja berühmt I Und was auch immer
Du schreibst — wie schlecht’s auch sei — es wird auf Erden,
Da es von Dir ist, stets — haha! — gepriesen werden —
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Er dachte nur in Märchen, Bildern, Reimen,
Doch der ersehnte Lorbeer wollte niemals keimen;
So blieb er unbekannt, wie’s armen Dichtern geht,
Verdiente kärglich seinen Reis mit Glücksgedichten,
Durch Märchensingen und gereimte Lieder — —
Er ging, wie es in China Brauch ist, hin und wieder
Zum grossen Sonnentempel; machte Kotaus bis zur Erde
Und betete, dass Gold und Dichterruhm ihm werde.
Und pinselte auf billiges- Papier Geschichten,
Die niemand kaufte, niemand kannte, niemand las,
Bis er zuletzt nur seinen Rock, sonst nichts besass.
Als er so, hungernd und verzweifelt, einmal wieder
Im Tempel kniete, fing der Sonnengott zu sprechen
Stieg freundlich von dem Drachensitz hernieder,
Klopfte den dicken Bauch sich wohlgefällig und begann:
„Ach, Dichterlein, Du dauerst mich mit Deinem Streben
Nach Dichtergliick und -Ruhm! Drum will ich mich erbarmen
Und Dir Erfolg, Bekanntsein, Reichtum geben —:
Nimm diesen Pinsel! Alles, was er schreibt,
Das macht sofort reich und berühmt Dich Armen.
Doch wisse, dass er nur ein einzig Jahr Dir bleibt!
Nun geh’ und dichte, was Du willst! Nach einem Jah
Musst Du mir selbst den Pinsel wieder geben — —!‘
Von dem Tag an begann Kang Lu ein neues Leben,
Und wenn auch manchmal alles wie ein Traum ihm war
Er war doch über Nacht ein grosser Mann geworden!
Man las ihn, kaufte seine Bücher, kannte ihn — ■
Und was ihm einst als höchstes Ziel erschien
Besass er: Ämter, Titel, Ehren, Geld und Orden — —
Und alles was er unternahm, war ihm zu Willen.
Doch bald gewahrte er voll Schreck im Stillen
Wie unerbittlich näherkam der Unglückstag!
Und als — eh’ er es selbst geglaubt — sein Jahr verstrichen,
War heimlich er zum Tempel hingeschlichen,
Den Pinsel abzuliefern, wie er es versprach.
„Weh’ mir,“ so klagte er, „wie soll ich weiter schreiben
Nun wird kein Mensch mehr meine Bücher lesen — —
Wie soll mir Ruhm und Reichtum ohne Pinsel bleiben ?
O weh, nun bin ich wieder, was ich einst gewesen — —!“
Da, als er —- wie vor einem Jahr — verzweifelt wieder
Im Tempel kniete, fing der Sonnengott zu lachen an
Kletterte huldvollst von dem Drachenaltar nieder,
Hielt sich den Bauch vor Lachen und begann:
„Gib nur den Pinsel her, mein Freund, Du brauchst ihn nimmer —
Jetzt bist Du ja berühmt I Und was auch immer
Du schreibst — wie schlecht’s auch sei — es wird auf Erden,
Da es von Dir ist, stets — haha! — gepriesen werden —
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Dichterlein"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 157.1922, Nr. 4032, S. 149
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg