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Die Sternschnuppe.

(Es war dunkel geworden. Der alte Lehrer lehnte nachdenklich
am Lenster, als ob er etwas erwarte. Richtig, dort schräg gegen-
über, in der guten Stube des Uhrmachers tfoller ein matter Licht-
schein, der allmählich Heller wurde.... jetzt konnte man auch die
Lorm des Weihnachtsbaumes erkennen.

Der Böller war immer der erste, der anzündete. Weil er so
viele Kinder hatte, die's nicht erwarten konnten. Nun mußte der
Gemeindeschreiber folgen, das war jedes Jahr so. Ja, es stimmte
auch diesmal wieder.

Jahr für Jahr hatte cr's so verfolgt und hatte das Leben
der lieben Leutchen rückschauend durcheilt, von der Taufe ange-
fangen, durch sein Schul-
zimmer und dann hinaus
ins Leben. Und er hatte
das (Erinnerte vor sich hin-
gesprochen zu seiner lieben
Maria; die hatte immer
mit dem Kopf genickt und
hie und da nachgeholfen.

Und zuletzt hatten sie ihr
kleines Tischbäumchen an-
gesteckt, das sie immer zu-
sammen im nahen Gc-
meindcwald geholt hat-
ten .... und hatten an
den braven Lranz gedacht,
der im Leid geblieben war,
und an die gute Joscpha,
die schon viele Jahre ver-
heiratet war über dem
großen Wasser drüben.

Dieses Jahr war er
zum erstenmal allein am
Weihnachtsabend. Ganz
allein. Maria war da
oben, wo schon die Sterne
funkelten. «Eben fiel eine
Sternschnuppe. Immer
hatte er's seinen Kleinen
in der Schule gesagt: „Wenn ein Sternlein fällt, sollt ihr euch nicht
was wünschen. Ihr sollt glauben, jetzt denkt jemand da droben
in Liebe an euch und schickt euch einen Gruß."

Mit wehmütiger Lreude empfing er das Zeichen seiner Maria.
Ls war der Dank für die Blumen, die er ihr heut' auf das dicht
verschneite Grab gelegt hatte.

Es fröstelte ihn. Er sah zurück ins dunkle Zimmer. Das
Lener war ausgegangen. Zu traurig war's in dieser Einsamkeit.
Er nahm seinen alten zerschlissenen Mantel und ging langsam die
ächzende Holztreppe hinab, hinaus in die kalte Weihnacht.

Am nächsten Haus mußte er stehen bleiben. Zwischen den Vor-
hängen sah er den jungen Schmied mit seiner kleinen Lrau, die er
erst vor wenigen Monaten heimgeführt hatte. Die Kerzenlichtlein
glänzten in ihren großen, schönen Augen. Nun stellte sic sich auf
die Zehenspitzen und sagte ihm etwas ins Vhr. . . obwohl kein
Mensch sonst im Zimmer war, dcr's hätte hören können. . .

Und weiter schlich er die Häuser entlang, den Schlapphut tief
in die Stirne gedrückt. Beim letzten Haus konnte man auch in die
Weihnachtsstube sehen. Die Kinder des Müllers jubelten um den
reich geschmückten Baum.

„So als Kind am Weihnachtsabend, das Herz voll Andacht,
Glück und Seligkeit, einzuschlummern und nimmer aufzuwachen,"
dachte er so bei sich, „das ist eigentlich der schönste Abschied vom
Leben. Aber sich so recht am Glück anderer zu freuen — selbst
unbemerkt — das ist das Schönste für einen alten gebrechlichen
Erdenpilger, der alles verloren hat."

Eine tiefe Andacht überkam ihn, als er nun weiterschritt, zum

nahen Wald; ihn, den
liebsten Lreund, mußte er
besuchen. Der hatte ihn
immer getröstet, hatte ihm
Ruhe und Kraft gegeben,
wenn ihm Trauriges be-
gegnet war.

Der hohe Dom der
ernsten Tannen nahm ihn
auf. Nun kam der Wur-
zelstock, aus dem er so oft
gerastet, um zu träumen.
Mit starren Händen wischte
er mühsam den hohen
Schnee zur Seite und ließ
sich nieder.

Da war es ihm, als
würden an dem Tannen-
bäumchen gegenüber kleine
weiße Kerzen angezündet
von unsichtbarer Band
und nun erstrahlte es hell.
Er fühlte sich als kleiner
Knabe und nun nahm
ihn seine Mutter bei der '
Band und führte ihn an
das Tischchen unter dem
Baum. Da lag ein Buch,
zur Belohnung, daß er so fleißig lesen gelernt... es war ein
Märchenbuch. Er schlug es auf, sah die wunderschönen Bilder, Tränen
in den Augen. Das war die glücklichste Stunde seines jungen
Lebens er las und las . . .

Am Bause des Lehrers standen drei junge Lraucn; sic trugen
ein kleines Weihnachtsbäumchen und einen Korb mit guten Sachen.
Sie wollten ihren: lieben alten Lehrer eine Lreude machen. Gewiß
war ihm recht bitter einsam zumute heute am heiligen Abend.

Sie läuteten - keine Antwort. Sie blickten hinauf zu seinem
Lenster, das immer erhellt war um diese Stunde - cs war in
Dunkel gehüllt. Erschrocken blickten sie einander an. Er wird doch
nicht ausgegangen sein . . . hinaus in die eisige winternacht? Sie
blickten wieder empor da sahen sie eine Sternschnuppe fallen,
g'rade herunter.... Wie hatte er ihnen immer gesagt? „Nichts
wünschen, sondern . . . ."

Ja, cs war sein Dank für ihre Liebe. Jtuboif Seffdb.

O diese Kinder!

Onkel: „Schrecklich, wie mir schon die Haare ausfallen!" — Der kleine Hans: „Ja, Onkel, Du hast ja auch schlechtes
Haar." — Onkel: „Wieso schlechtes Haar?" — Der kleine Hans: „Papa sagt immer, an Dir sei kein gutes Haar."
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Sternschnuppe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Unidentifizierte Signatur

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Meteor

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 157.1922, Nr. 4038, S. 194
 
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