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«TÖRfehl/eM

Autogramme verteilte. Auch mir reichte er ein Blatt, auf das
er rasch einige Botenköpfe warf mit der Unterschrift »slodkej blon-
dincc", was polnisch ist und „der süßen Blonden"! bedeutet. Mein
Stolz war unermeßlich, und ich finde die polnische Sprache
unverständlich, aber galant. Fred Majuffke, dem ich sofort das
Autogramm zeigte, pöbelte natürlich gleich, wir brauchten keine
polnischen Klimperzigeuner und Salonschnorrer — aber was
versteht ein Kamel von Parmaveilchen? Leider erfuhr ich spater,
daß Boleslav vom Hausherrn für den Bachmittag nur gemietet
war gegen zehn Rentenmark und freie Verpflegung, doch hat
dieses nur meine mitleidige Syinpathie vergrößert. Bein -
wozu sich wirkliche Künstler prostituieren müssen! Damals habe
ich wahrlich eilten liefen Blick in die grausige Bot des Lebens
getaucht, tind ich verstehe so recht den Sinn des LieöeS, den Maja
Majatta im Kabarett und in einer entzückenden teerosenfarbenen
Taftrobe fingt „Schluchzende Geigen, klingender Reigen, und
im Herzen de,: Tod, das ist Bot, das ist Bot!" Das Autogramm
ruht nachts unter meinem Kopfkijscn, wie Boleslav in meinen
Träumen. Ob er aber der Richtige ist?



Ich verstehe nichts von Politik,
aber seit ich neulich mit meiner
Freundin AnnagonöaFretjcherun-
erkanitt einem Vorträge lauschen
durfte, den Dr. jonas Glocken-
schinicd im ausverkauften Saale
der „Pilsener Bicrhallcn" über
„den Verwesungsprozeß der be-
sitzenden Klassen" hielt, weiß ich,
daß es auch unter den geistigen
Arbeitern edle Mätzchen gibt, was
mein Vater bisher nicht gelten
lassen wollte, weil er nur lesen imö
schreiben gelernt hat. Wie verzau-
bert folgte ich mit bebenden Bü-
stern Den kühnen Phrasen des blonden, recfenf>aftcn Redners,
einer Siegfricdsgestalt, dem nicht einmal der katastrophal un-
moderne Gehrock und die goldene Brille Einhalt geboten. Wie
er die Brandfackeln seines Grimmes, die kochenden Pfeile seiner
Begeisterung hinausschleudertc und die Massen aufrief zum er-

lösenden Kampfe gegen die schmatzende Bourgeoisie. Hellen,
nicht endenwollenden Beifall löste er bei seinen tausendköpfigen
Zuhörern aus, die ihm mit schäumenden Humpen zujauchzten
und Treue bis in den Tod schwuren. Zum Schluß wtirde
stehend ein tragisches Lied gesungen, in dem von Kampf und
Sterben die Rede war und von Scharftchießen. Hier enteilte
ich, besiegt von den Ideen des Dr. Glockenschmied. Trotz Anna-
gondas Widerspruch fuhren wir nicht im Auto nach Hause,
sondern mit der billigeren Elektrischen. Ich gab auch dem Schaffner
kein Trinkgeld, weil eiserne Sparsamkeit das Gebot der Stunde
ist, und weil ich nicht das Kainszeichen des fetten Ausbeuter-
tums an der Stirn tragen wollte. 2m Vorbeifahren an der
Olympiadiele sahen wir Fred Majuffkes Automobil halten,
dem er gerade in Begleitung zweier Damen entstieg, von denen
die eine einen tipptoppen Biberettcmantel mit Hermelin-
kragen trug, während die andere in einem pompösen Cape aus
Vielfraß mit Skunksverarbeitung den Zorn der darbenden
Massen herausforderte. Fred selber prahlte in einem Zylinder
über seinem feisten Schlemmerantlih, das im übrigen von einem
sehr schicken Sealpelz mit Astrachankragen eingehüllt war.
Müssen solche Drohnen am ausgemergelten Leibe der unteren
Schichten nun nicht die Rachebataillone des Dr. Glockenschmied
auf die Barrikaden rufen? Annagonda, das leere Geschöpf,
stieß mich kichernd an, da ich mich voll Abscheu von dem Bilde
der Völlerei abgewendet hatte, und meinte, die beiden „Damen"
seien Mätressen von Fred. Angeekelt von diesem düsteren Ein-
blick in das nächtige Dunkel Dei Großstadt, wandte ich mich
mit Vergnügen der hehren Lichr-
gestalt Glockenschmieds zu, der
allein imstande wäre, inei» un-
berührtes Herz zum Wallen zu
bringen. Ob er aber der Rich-
tigc ijt? jedenfalls kaufe ich mir
morgen den Roman „Der Unter-
gang des Abendlandes" von Os-
win Spengler, Damit ich der
dräuenden Katastrophe nicht un-
gewappnet ins Auge zu sehen
brauche.



Der Tanztee im Vestibül des

Korlskhung S. 105)

103
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Ohne Titel "Wer ist der Richtige? Aus den Bekenntnissen eines blonden Fräuleins"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Musikant

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 160.1924, Nr. 4103, S. 103
 
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