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Ein neu eröffneter Laden
Von Peter Robinson
An einem späten Nachmittage, so gegen Mitte August, eröffnete
in der Saalbahnhofstraße zu Jena das Ehepaar Kniebold einen schönen
Laden mit Feinkostwaren, Früchten, Kaffee, Tee und dergleichen. Am
gleichen Tage befand sich die Familie Schlotterbeck auf der Leim-
reife aus einem Ostseebade nach München. Zwischen diesen beiden
nicht im geringsten zusammenhängenden Geschehnissen ergab die be-
deutende Verspätung eines Zuges eine eigentümliche Verknüpfung.
Schlotterbecks waren von Rostock nach Lalle gelangt, dort aber
nicht gleich in einen Zug nach München gestiegen, sondern vom Wege
abgebogen und noch nach Weimar gefahren — weil doch diese Ge-
legenheit günstig war. Nun wollten sie von Weimar über Jena nach
Lause. In Jena mußten sie vom Westbahnhof hinunter zum Saal-
bahnhof, und dazu hatten sie 50 Minuten Zeit. Das war viel mehr,
Nicht zu kriegen
„Jetzt Hab' ich das schnellste Boot auf dem ganzen See."
„Da bist du fein 'raus, Lerbertl Solange du Benzin hast, kann
man's dir also nicht pfänden."
82
als sie nötig hatten; da konnten sie — ihr Gepäck hatten sie aufge-
geben — ganz gemütlich hinunterschlendern. So wenigstens hatten
sie sich das gedacht.
Während nun das Ehepaar Kniebold in Jena hinter noch ge-
schlossenen Rolläden in seinem Laden allerlei Ware auspackte und
gefällig aufstellte, standen Schlotterbecks — Eltern, drei Töchter und
ein Lund — in Weimar auf dem Bahnsteig und warteten auf den
Zug von Erfurt her. Sie mußten länger warten, als sie — selbst-
verständlich dem Fahrplan nach — angenommen hatten. Als der
Zug 10 Minuten über seine Zeit ausgeblieben war, sagten Schlotter-
becks: „Macht nichts — wir kommen noch sehr gut zurecht!" Als
nach 20 Minuten noch nichts vom Zuge zu sehen war, meinten sie:
„Run, es wird noch gehen!" Als aber 30 Minuten mit peinigendem
Lerumspazieren aus dem Bahnsteig vergangen waren, seufzten
sie: „Jetzt wird's brenzlich!" Schließlich, nach ganzen 40 Minuten,
konnten sie dann einsteigen, aber da hatten sie nur noch die Loff-
nung: „Vielleicht hat in Jena der Berliner Zug auch Verspätung.
Aber ein Auto müssen wir bekommen."
Vor dem Westbahnhof in Jena standen sogar zwei Auto-
droschken, aber es wollten noch andere Leute zum anderen Bahn-
hof hinunter, und deshalb bekamen Schlotterbecks kein Auto. Sie
mußten die Straßenbahn nehmen, und als sie mit dieser endlich
das untere Ende der Saalbahnhofstraße erreicht hatten —
puff, puff, puff — da fuhr an ihnen der Zug nach München
vorüber.
„Die sich beugen dem Schicksal, sind weise." Schlotterbecks
beugten sich, ohne daß sie aber deshalb als besonders weise ge-
rühmt werden müßten. Denn was hätten sie sonst tun sollen?
Sich nicht beugen zu wollen, hätte in diesem Falle doch nur den
unsinnigen Versuch bedeutet, dem Zuge nachzulaufen, was aber,
von der Vergeblichkeit solchen Bemühens ganz abgesehen, schon
deshalb ausgeschlossen war, weil das Betreten eines sogenannten
Bahnkörpers — es sind die längsten Körper der Welt — ja ver-
boten ist. Schlotterbecks mußten also auf den nächsten Zug warten,
bis ein Ahr nachts. Sie erquickten sich zunächst an Speise und
Trank, spazierten dann in Jena herum, wurden schließlich davon
müde und beschlossen, in irgendeinem dem Saalbahnhof nahe ge-
legenen Lotel, wo sie dann ja auch zu Abend essen konnten, für
die halbe Nacht Ruhe zu suchen. So gingen sie denn durch den
Fürstengraben wieder nach der Saale zu.
Gerade jetzt war das Ehepaar Kniebold mit der Lerrichtung
seines Ladens fertig geworden, und nun zogen sie die Rolläden
hoch. Denn es blieben ihnen noch zwei Stunden, und da konnte»
sie die ersten Kunden gewinnen. Wer aber würde der allererste
sein? O, darauf waren sie gespannt! Denn der erste Kunde würde
für sie ein Vorzeichen sein, was sie von ihrem Geschäft 3"
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Ein neu eröffneter Laden
Von Peter Robinson
An einem späten Nachmittage, so gegen Mitte August, eröffnete
in der Saalbahnhofstraße zu Jena das Ehepaar Kniebold einen schönen
Laden mit Feinkostwaren, Früchten, Kaffee, Tee und dergleichen. Am
gleichen Tage befand sich die Familie Schlotterbeck auf der Leim-
reife aus einem Ostseebade nach München. Zwischen diesen beiden
nicht im geringsten zusammenhängenden Geschehnissen ergab die be-
deutende Verspätung eines Zuges eine eigentümliche Verknüpfung.
Schlotterbecks waren von Rostock nach Lalle gelangt, dort aber
nicht gleich in einen Zug nach München gestiegen, sondern vom Wege
abgebogen und noch nach Weimar gefahren — weil doch diese Ge-
legenheit günstig war. Nun wollten sie von Weimar über Jena nach
Lause. In Jena mußten sie vom Westbahnhof hinunter zum Saal-
bahnhof, und dazu hatten sie 50 Minuten Zeit. Das war viel mehr,
Nicht zu kriegen
„Jetzt Hab' ich das schnellste Boot auf dem ganzen See."
„Da bist du fein 'raus, Lerbertl Solange du Benzin hast, kann
man's dir also nicht pfänden."
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als sie nötig hatten; da konnten sie — ihr Gepäck hatten sie aufge-
geben — ganz gemütlich hinunterschlendern. So wenigstens hatten
sie sich das gedacht.
Während nun das Ehepaar Kniebold in Jena hinter noch ge-
schlossenen Rolläden in seinem Laden allerlei Ware auspackte und
gefällig aufstellte, standen Schlotterbecks — Eltern, drei Töchter und
ein Lund — in Weimar auf dem Bahnsteig und warteten auf den
Zug von Erfurt her. Sie mußten länger warten, als sie — selbst-
verständlich dem Fahrplan nach — angenommen hatten. Als der
Zug 10 Minuten über seine Zeit ausgeblieben war, sagten Schlotter-
becks: „Macht nichts — wir kommen noch sehr gut zurecht!" Als
nach 20 Minuten noch nichts vom Zuge zu sehen war, meinten sie:
„Run, es wird noch gehen!" Als aber 30 Minuten mit peinigendem
Lerumspazieren aus dem Bahnsteig vergangen waren, seufzten
sie: „Jetzt wird's brenzlich!" Schließlich, nach ganzen 40 Minuten,
konnten sie dann einsteigen, aber da hatten sie nur noch die Loff-
nung: „Vielleicht hat in Jena der Berliner Zug auch Verspätung.
Aber ein Auto müssen wir bekommen."
Vor dem Westbahnhof in Jena standen sogar zwei Auto-
droschken, aber es wollten noch andere Leute zum anderen Bahn-
hof hinunter, und deshalb bekamen Schlotterbecks kein Auto. Sie
mußten die Straßenbahn nehmen, und als sie mit dieser endlich
das untere Ende der Saalbahnhofstraße erreicht hatten —
puff, puff, puff — da fuhr an ihnen der Zug nach München
vorüber.
„Die sich beugen dem Schicksal, sind weise." Schlotterbecks
beugten sich, ohne daß sie aber deshalb als besonders weise ge-
rühmt werden müßten. Denn was hätten sie sonst tun sollen?
Sich nicht beugen zu wollen, hätte in diesem Falle doch nur den
unsinnigen Versuch bedeutet, dem Zuge nachzulaufen, was aber,
von der Vergeblichkeit solchen Bemühens ganz abgesehen, schon
deshalb ausgeschlossen war, weil das Betreten eines sogenannten
Bahnkörpers — es sind die längsten Körper der Welt — ja ver-
boten ist. Schlotterbecks mußten also auf den nächsten Zug warten,
bis ein Ahr nachts. Sie erquickten sich zunächst an Speise und
Trank, spazierten dann in Jena herum, wurden schließlich davon
müde und beschlossen, in irgendeinem dem Saalbahnhof nahe ge-
legenen Lotel, wo sie dann ja auch zu Abend essen konnten, für
die halbe Nacht Ruhe zu suchen. So gingen sie denn durch den
Fürstengraben wieder nach der Saale zu.
Gerade jetzt war das Ehepaar Kniebold mit der Lerrichtung
seines Ladens fertig geworden, und nun zogen sie die Rolläden
hoch. Denn es blieben ihnen noch zwei Stunden, und da konnte»
sie die ersten Kunden gewinnen. Wer aber würde der allererste
sein? O, darauf waren sie gespannt! Denn der erste Kunde würde
für sie ein Vorzeichen sein, was sie von ihrem Geschäft 3"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Nicht zu kriegen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 181.1934, Nr. 4645, S. 82
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg