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Die Brieftasche

Von Ralph Urban

Sie waren seil acht Tagen verheiratet. Also noch Neuland, rechts
und links nichts als Neuland. Auf die Lochzeitsreise halten Felix
und Olga vorderhand verzichtet; es wäre schade gewesen um das
nette, neue Leim und um das Alleinsein. Di« Reise konnte man
später nachholen. And außerdem sieht man in der ersten Zeit so-
wieso nichts.

„Liebste," Pflegte Felix zu sagen, wenn er in dieser Flitkerwoche
von der Arbeit nach Lause kam, „Liebste, was machen wir heute
abend? Willst du ausgehen?"

„Ach, Liebster, ganz, wie du willst."

„Nein, Liebste, wie du willst."

„Wie du willst. Liebster, wenn ich
nur bei dir bin."

„And wenn ich nur bei dir bin. Wol-
len wir vielleicht zu Lause bleiben? Ich
dachte nur, du wolltest —"

„And ich dachte, du wolltest. Ich bleibe
furchtbar gerne zu Lause, Liebster —"

Später gibt sich das wieder, aber
vorläufig war es tatsächlich so. Sie
schwebten fast und waren glücklich. Sie
bestanden nur aus Liebe. Ihre Gedan-
ken und ihre Worte dienten einzig als
Fühler, mit denen eines des andern
geheimsten Seelenwinkel zu durchforschen
strebte.

„Wir wollen es uns gleich recht ge-
mütlich machen, Liebste," sagte Felix,
als er wieder einmal heimkehrte, und
legte seine Brieftasche, Geldbörse und
Ahr auf den noch zart nach Politur
riechenden Schreibtisch. Dann ging er
ins Badezimmer, um sich den Morgenrock anzuziehen. Olga deckte
einstweilen den Tisch und war häuslich. Als Felix wieder herein-
kam, ging sie in die Küche. Der Mann blieb im Zimmer, schaute
umher und rieb sich die Lände. Dann trat er an den Schreibtisch,
strich über die Platte und zog einige der noch leeren Laden heraus.
Run fiel sein Blick aus die Brieftasche, die ihn plötzlich zu merk-
würdigen Gedanken anregte. Ob Olga jemals hineinschauen würde?
Man sagte, daß Frauen neugierig wären, und daß sie nichts mehr
interessiere als der Inhalt der männlichen Brieftasche. Olga bildete
da sicher eine Ausnahme, sie stand in jeder Linstcht über allen Men-
schen. Sie war ein Engel. Man hatte kein Geheimnis und
hatte daher auch kein Mißtrauen. Oder — ? Der Versucher trat
plötzlich hinter Felix und wisperte mit heißem Atem: ,Es gibt keinen
Engel auf Erden, und alle Frauen sind neugierig. Stelle sie auf die
Probe, Felix!' And da es bekanntlich auch nur wenige Männer gibt,
die den Einflüsterungen des Leibhaftigen zu widerstehen vermögen,
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nahm Felix Schere und Leftpflaster und schnitt einen haardünnen
Streifen davon ab, mit dessen beiden Enden er die Brieftasche zu-
klebte. Nachdem er diese schandbare Falle angelegt hatte, setzte er
sich zu Tisch.

Er erinnerte sich an die Angelegenheit erst wieder, als er am
nächsten Morgen vor dem Weggehen die Brieftasche in den Rock
stecken wollte. Der Streifen klebte noch an beiden Enden und riß
beim Oeffnen der Tasche. Felix schämte sich seines Mißtrauens nun
so sehr, daß er Buße tat und auf dem Leimweg eine stattliche Schachtel

Süßigkeiten erstand. Da er in der Börse
nicht genug Kleingeld mehr fand, zog
er die Brieftasche, um den Zehn-Mark-
Schein, der sich dort neben einem Fünf-
ziger befinden sollte, wechseln zu lassen.
Felix suchte und suchte, aber der Zehn-
Mark-Schein war fort. Kopfschüttelnd
ließ er sich auf die große Banknote
herausgeben. Während er seinem Leim
zustrebte, grübelte er über das Ver-
schwinden der Banknote vergebens nach.
Vorhanden war sie gewesen, und aus-
gegeben hatte er sie auch nicht. Ver-
loren? Man verliert doch nichts aus
einer geschlossenen Brieftasche! Wenn
sie nicht zugeklebt gewesen wäre — ,O,
pfui', dachte Felix, ,was bist du auch
für ein schlechter und mißtrauischer
Mensch!'

Nachdenklich kam er zu Lause an.
Gleich an der Tür fiel ihm seine junge
Frau um den Lals und dann nochmals,
als er ihr die Süßigkeiten überreichte.

„Ich danke dir, Liebster," rief sie und zog ihn ins Wohnzimmer,
„auch ich habe für dich eine Aeberraschung. Was mir gehört, gehört
doch auch dir?"

„Klar, Liebste."

„Ich wollte dir eine kleine Freude bereiten und habe mir zwei
Paar von den hauchdünnen Strümpfen gekauft, wie sie dir so gut
gefallen, weil sie elegante Knie machen. Sind sie nicht fesch?"
Olga hob das Röckchen, daß man die Strümpfe in ihrer ganzen
Länge sehen konnte.

„Fabelhaft!" meinte Felix und zitterte mit den Nasenflügeln.

„Siehst du," sprach Olga, „und ich gehöre dir samt den Strümpfen.

And du gehörst mir auch mit allem. Liebster?"

„Natürlich, Liebling!"

„Dann ist es gut," zwitscherte Olga. „Am dich überraschen zu
können, mußte ich dir heimlich zehn Mark aus der Brieftasche
nehmen —"

„Wie sorglos doch die Leute hier sind, so dicht
neben dem Vulkan zu wohnen." — „Pah, Emilie,
wir haben doch zu Lause nebenan die Gasanstalt."
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wie sorglos die Leute hier sind..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Frank, Hugo
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 191.1939, Nr. 4916, S. 218

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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