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Fliegende Blätter — 21.1855 (Nr. 481-504)

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Nr. 484
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26

Gewerbliche

thüre stellte, wo er mit seinen knochigen Fäusten die Vertrie-
benen zum neuen Eintritt lud. Man kann leicht denken, wie
Wenige einer solchen Aufforderung folgten, die immer mit
einem Paar gebrochener Rippen bezahlt werden mußte.

Das alte Sprichwort: daß ein Jeder mal seinen
Meister finde! leidet in keiner Hinsicht eine bessere An-
wendung, als in der handbekräftigten Auseinandersetzung diver-
girender Ansichten, wie ein neuerer und berühmter Philosoph
unser altes gutes deutsches Wort Prügelei zu umschreiben
versucht hat. Kurz — einem riesigen Fuldaer Schmiedgesellen
war cö Vorbehalten, das Amt des Racheengels an Würzig's
Lebcrecht zu vollstrecken. Auf einem Kirchweihfeste, wo Leberecht
eben wieder anfangen wollte, den Tanzsaal mittelst einiger aus-
gebrochener Tischbeine zu säubern, fühlte er sich plötzlich vom
Fuldaer Schmied so gewaltig beim Genick gefaßt, daß ihm die
Halswirbel krachten. Leberecht war zwar nicht faul, und ver-
setzte diesem Ersten, der es gewagt, ihn anzufassen, mit einem
Tischbein einen gewaltigen Hieb, allein dieser hatte keine andere
Wirkung, als daß er ein Dutzend dreimal stärkerer Entgeg-
nungen hervorrief, die den Leberecht ganz von Sinnen brachten.
Hierauf nahm der Schmied seinen Gegner und warf ihn wie
l einen leeren Futtersack zur Treppe hinab.

Ein unendliches Hurrah lohnte den Hufeifensimson für
I seine gelungene That, und der erfreute Wirth brachte einen
mächtigen Humpen Achtzehner, welchen er dem Sieger kredenzte.

1 Leberewt aber kam nach einigen Minuten wieder zu sich selbst,
raffte sich auf und schlich hinkend auf den abgelegensten We-
gen heim. Diejenigen, welche am Nächsten den Kämpfenden
gestanden hatten, wollten behaupten, der Schmied habe dem
Braumeister Leberecht alle Zähne eingeschlagen, doch konnte man
über die Verwundungen jenes Raufers nichts Genaues erfah-
ren, da Niemand denselben wieder zu Gesicht bekam. Am Tage
nach der Schlägerei hatte sich Leberecht mit einem furchtbar
geschwollenen Gesichte ganz in der Frühe aufgemacht mit dem
festen Vorsatze, sein Vaterland nie wieder betreten zu wollen.
Durch das Bayerland, Tyrol und Steyermark war er hinunter
bis nach Triest gewandert, dort nahm er Dienste auf dem
ersten besten Schiffe, welches gerade zufällig nach Konstantinopel
absegelte, und Niemand hat wieder von dem hessischen Raufer
etwas gehört.

In Konstantinopel verließ Würzig das Schiff und trat
in die Dienste der türkischen Armee. Der Hesse machte bald
Glück bei seinen Vorgesetzten, wodurch er rasch zum Corpora!
sich cmporschwang. Doch auch auf die türkischen Schönen
machte er durch sein imposantes Auftreten bedeutenden Eindruck
und man nannte ihn bald nur den „Giaur mit den blen-
denden Zähnen."

Nach dem Berichte der hessischen Bauern: daß der Ful-
daer Schmiedgeselle damals dem Braumeisterssohne sämmtliche
Zähne eingcschlagen habe, mag Manchem der Titel, womit
die türkischen Schönen unfern deutschen Landsmann beehrten,
höchst sonderbar erscheine,:, allein man wird bald sehen, wie
, sehr derselbe gerechtfertigt war.

Bald nach dem Ausbruche der ersten Feindseligkeiten zwi-

Erzählungen.

schen Rußland und der Türkei ward Lcberecht Würzig mit zur
Besetzung Silistria's auserlesen. Der Lieutenant Grach, früher
in preußischen Diensten, freute sich gewaltig, als er den tapfern
Landsmann mit unter seinen Truppen bemerkte. Grach, der
nachmals bei der Vertheidigung Silistria's so außerordentlichen
Ruhm erntete, machte bald Würzigen zum Theilnehmer aller
seiner tollkühnen Plane und unser Hesse fühlte sich nicht wenig
durch dieses Vertrauen gehoben und geehrt.

Schon lagen die Russen Wochenlang ohne den geringsten
Erfolg vor Silistria. Fortwährend wurden sie durch die ver-
wegensten Ausfälle der Belagerten beunruhigt und oft, wenn
sie glaubten, sich dem Schlafe endlich einmal ungestört über-
lassen zu können, wurden sie von den Schreckensrufen der
Schildwachen aufgestört, die mit Jammergeschrei das Nahen
eines neuen Ueberfalles meldeten.

Kein Ueberfall wurde jedoch von Silistria aus gemacht,
ohne daß nicht auch Leberecht Würzig dabei gewesen wäre,
dessen furchtbare Tapferkeit ihm schon so viel Berühmtheit ver-
schafft hatte, daß man ihm von irgend einer obscuren Akademie
in Konstantinopel ein Mitgliedsdiplom zusandte und ihm den
erhabenen Beinamen Leo germanicus gab.

Corpora! Würzig's unbesiegbare Kraft lag jedoch größten-
theils in seinen blendenden Zähnen, mit denen er sich löwen-
muthig aus die Feinde stürzte und sie im buchstäblichsten Sinne
des Wortes in Stücke zerriß.

Es war eine stürmische Nacht, als man wieder einen Aus-
fall wagte, doch trafen die Belagerten ihre Feinde diesmal nicht
so sorglos, als sie es vermuthet hatten. Nach einigen Allarm-
schüssen war fast das ganze russische Lager auf den Beinen
und nicht lange währte es, so traten die Türken, von der
Uebermacht gedrängt, jedoch noch immer wüthend den Kampf i
fortsührend, den geordneten Rückzug an.

Würzig war außer sich vor Wuth und schlug die Zähne
so furchtbar heftig zusammen, daß dieses geisterhafte Klappern
fast noch den Wirbel der Trommeln übertönte. Würzig's
Ruhm als vortrefflicher Schütze kam seinem Ruf als unüber-
windlicher Ringkämpfer fast gleich und so mancher Russe mußte
an jenem Tage das mörderische Mei des wilden Hessen in
seinen Rippen fühlen. Bald war jedoch die Munition Wür-
zig's verschossen und nun fing er wieder seinen gräßlichen
Vernichtungskampf mit den Zähnen an, indem er einen russi-
schen Infanteristen mit zwei scharfen Bissen gewöhnlich in
zwei Hälften zerriß.

Das zeitungslesende Publikum wird sich . jenes wüthen-
den Kampftages (es war der zwölfte Juni) noch recht wohl
erinnern können. Die russischen Blätter jubelten über den
Sieg „wie ihn die Annalen der Geschichte noch
nicht aufzuwciscn hatten" und waren doch eigentlich
nichts mehr als — geschlagene Sieger.

Der Morgen begann schon zu dämmern, als endlich die
Türken unter den Schutz der Kanonen Silistria's gelangten,
welche sogleich auch das Ihrige thaten, um die Freunde zu
schützen und die Verfolger von weiterem Vordringen abzuhalten.
Bis dicht an die Schußlinie heran wagten sich jedoch die nach-
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